Sie mögen heute nur noch ein Schatten ihrer selbst sein, mit ihren von 1984 bis 1986 veröffentlichten Alben konnten sich OMEN aber als wegweisende Epic- bzw. True-Metal-Band etablieren und die Artworks von Platten wie „Battle Cry“ oder „Warning Of Danger“ zieren bis heute die Rückseiten unzähliger Kutten. 1987 zeigten sich im Bandgefüge der Kalifornier erste Risse, denn Sänger J. D. Kimball verließ die Truppe, weshalb für das nächste Album ein neuer Mann am Mikro gefunden werden musste. Dank missglückter stilistischer Neuausrichtung floppte „Escape To Nowhere“ 1988 gewaltig, wird seither von Fans und Band gleichermaßen ignoriert und gilt gemeinhin als Anfang vom Ende. Trotzdem: Zum 35. Geburtstag legen Metal Blade Records das kontroverse Werk neu auf.
Schon der Opener „It’s Not Easy“ macht deutlich, warum „Escape To Nowhere“ manchem bis dahin gewonnenen Fan vor den Kopf gestoßen haben könnte: Von einem Synthie-Piano eingeleitet und generell um einiges ruhiger als alles, was OMEN bis dahin veröffentlicht haben, bedeutet die Nummer definitiv einen Stilbruch und trägt gar Züge progressiv veranlagter Bands wie Savatage. Dieser Eindruck wird vom neuen Sänger Coburn Pharr noch verstärkt, denn anders als sein Vorgänger ist der zu weit temperierterem Gesang imstande – allerdings beweist er noch im gleichen Song, dass er auch ziemlich aggressiv klingen kann und somit über einen weitaus größeren Stimmumfang als J. D. Kimball verfügt.
Dabei gibt der Eröffnungssong die generelle Richtung von „Escape To Nowhere“ sehr genau vor: OMEN sind auf ihrer vierten Platte hörbar bestrebt, neues musikalisches Terrain – und damit im Idealfall auch neue Fans – zu erschließen. Zwar finden sich hier mit „Poisoned“ und „No Way Out“ auch Titel, die Fans der „alten“ OMEN zufriedenstellen dürften, diese sind aber klar in der Minderheit. In erster Linie erkundet die Truppe auf diesem Album ihre neu entdeckte Vielschichtigkeit und so liegt der Fokus selbst in eher traditionellen Epic-Metal-Songs wie „Cry For The Morning“ vornehmlich auf verheißungsvoller Atmosphäre und nicht mehr auf roher Energie.
Es ist also durchaus nachvollziehbar, warum 1988 nicht jeder Fan von „Escape To Nowhere“ begeistert war. Nach 35 Jahren sollte dieser Schock aber verarbeitet sein und ohne den noch frischen Eindruck der vorangegangenen Platten offenbaren OMEN hier durchaus bis dahin ungenutztes Potenzial. Nummern wie der Titeltrack oder „King Of The Hill“ mögen im Vergleich zu Songs wie „Battle Cry“ oder „Death Rider“ im ersten Moment ungewohnt zahm anmuten, sie punkten aber auch mit cleveren Arrangements und ausgebufften Spannungsbögen. Die neue Ausrichtung irgendwo zwischen Savatage und Virgin Steele etwa zur gleichen Zeit mag sich für OMEN nicht als zukunftssicher erwiesen haben, aber „Escape To Nowhere“ ist mit Sicherheit ein zu Unrecht übersehenes Album in ihrem Backkatalog.
Rückwirkend betrachtet ist der Titel „Escape To Nowhere“ für diese Platte noch weit passender gewählt, als es die Band selbst seinerzeit für möglich gehalten haben dürfte. Der Ausbruchsversuch in neue stilistische Regionen führte für OMEN tatsächlich nirgendwo hin: Die Fans wollten es nicht hören, Gitarrist Kenny Powell findet die Platte nach eigener Aussage ebenfalls misslungen und die Truppe verabschiedete sich für die nächsten neun Jahre aus der Öffentlichkeit. Für sich genommen ist „Escape To Nowhere“ aber kein schlechtes Album – mit etwas Abstand zu den überragenden ersten drei OMEN-Platten entpuppt sich die Scheibe als überraschend vielschichtiges Werk, auf dem die US-Metaller mutig neues musikalisches Terrain erschließen. (Wieder-)Entdecken lohnt sich!
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