Review Nocte Obducta – Karwoche (Die Sonne der Toten pulsiert)

  • Label: Supreme Chaos
  • Veröffentlicht: 2023
  • Spielart: Black Metal

Sag mir, wie klingt die neue NOCTE OBDUCTA?

Setz dich und stell dir vor: Wir sind in einer echt miesen Gegend der Stadt (Welcher Stadt? – Irgendeiner Stadt, ist doch egal…), an einem dieser letzten Herbsttage, wo das Sonnenlicht milchig ist, und man versteht, warum manche den Ball am Himmel hassen; ein Tag, wo der Wind schon eine Ahnung von Kälte bringt und einen leicht süßlichen Gestank von Abfall aus irgendeiner Tonne nebenan.

Wir stehen also vor diesem noch nicht verfallenen, aber doch schon sehr in die Jahre gekommen, halbvergessenen Gebäude, wo irgendein findiger Vermieter im Keller Sachen wie Proberäume eingerichtet hat, Lager und Zimmer, bei denen niemand nachfragt. Irgendwo im zweiten Untergeschoss scheint sich eine Black Metal Band eingenistet zu haben, jedenfalls dröhnt es, nein es kriecht aus den Wänden. Zu ihrem eigenen Unglück hat sich im Raum nebenan eine Laien-Schauspielergruppe eingenistet. Allesamt Fans von Max Schreck und Fritz Lang, versuchen sie einen alten Gruselfilm zu drehen, stumm und in schwarz-weiß. Doch der Stummfilm wird von der spielenden Band nebenan ins Groteske verzogen und der Hauptdarsteller ist ein rachitischer Vampir, der mit einer Flasche Vodka versucht, sich den Mut anzusaufen, den es braucht, um die wunderschöne Hauptdarstellerin zu beißen.

Ab und zu geht die Tür auf und ein Bandmitglied klaut eine Requisite und trägt ein anderes Stück wieder ins Studio zurück. So sind das unglückliche Filmteam und die rauschende Band untrennbar miteinander verbunden. Schaurig singen die Sägen. Ein Emperor-Keyboard aus ganz unnennbaren Vergangenheiten erhebt kurz sein Haupt („Conomara Chaos“). Kennt eigentlich noch irgendjemand das Ondes Martinot?

Die Band hat wieder einmal punkig losgelegt, als würde der Schimmel in den Wänden und die Ratten in den Rohren ihre musikalischen Fußspuren hinterlassen („Sonne der Toten“). Doch die Tristesse des Lebens im zweiten Untergeschoss einer Ruine und das halb ausgetrunkene Dosenbier tun bald ihre Pflicht. Die Musik wird schleppender, zweifelnder. Bald stellt sich Schwärze ein. Irgendwo in der Ecke vergammelt eine Ananas. Karfreitag mitten im Herbst („Karwoche“).

Lass‘ dir nichts erzählen, dass NOCTE OBDUCTA wieder klingen wie ganz früher. Wir sind alle nicht jünger geworden, die Knochen erzählen von den alten Exzessen und so mancher Rücken verträgt die Kälte nicht mehr. Die Psychotrips der Zehnerjahre haben ihre Spuren hinterlassen („Birkenpech“) und viele lagen sowieso noch in den Windeln, als „Galgendämmerung“ erschien. Jetzt muss man nicht mehr rennen (sind die Knie nicht eh kaputt?), aber man hat viel zu erzählen und darin sind sie eh Meister. Mitten im Probekeller steht also ein Ohrensessel. Vielleicht wollen wir nicht wissen, wann er das letzte Mal gereinigt wurde, vielleicht wohnen Tiere drin, aber das ist egal, denn es ist noch immer und noch viel mehr als sonst faszinierend, einfach zuzuhören. Und irgendwann ist man drinnen im Strudel, irgendwo zwischen Vodka, Satan und Verzweiflung und kann nicht mehr hinaus („Balder“). NOCTE OBDUCTA sind Seelenfänger und die „Karwoche“ gräbt tief, vielleicht tiefer und in Schichten, wo man niemals andere hinblicken lassen wollte.

Apropos Vodka und Verzweiflung. Der zögerliche Vampir hat endlich seine Hemmungen überwunden und die Hauptdarstellerin gebissen. Das unglückliche, junge Ding. Die Sepsis breitet sich unaufhaltsam in ihrem Blut aus. Eine passendere Begräbnismelodie als „Karwoche“ hätte sie sich nicht wünschen können.

So, jetzt weißt du, wie die neue NOCTE OBDUCTA klingt. Wie „Verderbnis“ nach der zweiten Scheidung.  Bleiben wir noch etwas und hören zu. Wir haben Schwarzbier und Feigen für ein spätes Abendessen. Draußen ist es Nacht geworden, und in einer Gegend wie dieser sollte man um diese Zeit nicht mehr vor die Tür.

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Wertung: 8.5 / 10

Redaktion Metal1.info

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2 Kommentare zu “Nocte Obducta – Karwoche (Die Sonne der Toten pulsiert)

  1. Schön geschrieben! Eine herkömmliche Review wäre NO nicht würdig und es beschreibt die Stimmung tatsächlich treffender, als es eine nüchterne Beschreibung der Instrumente zugelassen hätte.

    Album hat bei mir ein paar Runden gebraucht, aber dann hat sich die Großartigkeit der Band entfaltet.

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