20 Jahre ist dieser Klassiker bereits alt und somit ist es Zeit, die erste selbstgekaufte CD meines Lebens zu rezensieren. Rückblickend ist es schon ein Glücksfall, dass diese Scheibe damals so unglaublich eingeschlagen hat, denn hätte sie nicht jeder gehabt, dann wäre ich da selbstverständlich nie drauf aufmerksam geworden. Ehrlich betrachtet war NIRVANA vor Veröffentlichung (und eigentlich auch danach) keine Band, die man sich zwingend geben musste, bis ein einziger Song nicht nur das Leben der drei Musiker teilweise fatal veränderte, sondern eine gesamte Generation prägte.
Mit derartigen Superlativen muss man an sich ja vorsichtig sein, wer aber die frühen 90er miterlebt hat und die damals wieder erwachende Politisierung der Jugend, der versteht den Satz schon genau so, wie er gemeint ist: mit diesem Lied gaben NIRVANA den Kindern von Morgen ein Gesicht, eine Attitüde und vor allem eine Identifikation in einer Zeit, die durch das Ende des kalten Krieges, das Fallen des eisernen Vorhangs und die Konfrontation mit neuen Problemen – zunächst vor allem Umweltschutz, aber auch eine neue „Qualität“ von fundamentalem Terrorismus, Überbevölkerung und später Krisen an den internationalen Finanzmärkten – geprägt war. Erstaunlicherweise war es ausgerechnet „Smells Like Teen Spirit“, welches nicht nur durch unfassbar banale Riffs, einen so eindeutig kommerziellen Aufbau und einen völlig glattgebügelten Sound eigentlich nicht gerade das verkörpert, was man von einem Jahrhunderthit erwartet. Außerdem zeigt der Text zumindest nach außen hin kaum tiefsinnige Worte, sondern wirkt alles in allem sehr oberflächlich. Aber man kann es nicht verleugnen, der Song hat einfach ein Feeling, das den Leuten das gibt, was sie wollen: er schweißt zusammen, er erlaubt Individualität, er regt an, er regt ab, er klingt einfach so, wie man es sich wünscht.
Wie bestehen die elf anderen Songs gegen DAS eine Lied, welches lediglich ein Hauptriff hat, welches mal von Gitarre, mal von Bass gespielt wird, ein Solo, dass die Gesangslinie imitiert und ein Gesang, der vor allem durch die Zeile „Hello, hello, helo, how low“ in die Gehirnwindungen von Millionen gebrannt hat? Nun, ohne Übertreibung darf man sagen, dass dies ausgesprochen gut gelingt. „Nevermind“ ist nicht nur wegen des Openers zu einem absoluten Kultalbum geworden, beinahe jeder der zwölf Tracks kann als Klassiker bezeichnet werden. Das obercoole „Come As You Are“, von Struktur und Rafinesse nicht allzu unterschiedlich zu „Smells Like Teen Spirit“, sorgt durch einen feinen Rhythmus für das Zucken des einen oder anderen Schenkels und verewigt die Band seit 2005 auf dem Ortseingangsschild von Kurt Cobains Heimatstadt Aberdeen. Neben den weiteren Singleauskopplungen „In Bloom“ und „Lithium“ überzeugen vor allem die beiden aggressiven Abdrehnummern „Breed“ und das gegen Ende vollkommen irre „Territorial Pissings“, welches in Sachen Prügelei möglicherweise wegbereitend für Veröffentlichungen war. Auf der anderen Seite haben die Westamerikaner aber auch Wert auf beinahe schon kuschelige Nummern gelegt. So klingt „Something In The Way“ zwar eher depressiv, aber mit der Freundin im Arm lässt es sich bestimmt so gut aushalten wie „Polly“, das andere relativ durchweg langsame Lied des Albums.
Trotzdem wäre eine Einteilung in langsam / schnell eher unangebracht, denn beinahe jeder Song vereint gewissermaßen zwei Herzen in sich. Nirgends wird es freilich deutlicher als beim Opener, aber auch sonst gibt es immer wieder den Wechsel zwischen punkiger Härte und poppiger Leichtigkeit, was vor allem dem Produzenten Butch Vig zu verdanken ist, der möglicherweise das erste Mal einer zuvor unabhängigen Band kommerzialisierend ins Handwerk pfuschte und an den Songs so lange arrangierte, bis sie massen- und vor allem radiotauglich waren, was damals wohl das wichtigste Qualitätssiegel war. So sorgte er nicht nur dafür, dass die Songs zwar spannend und interessant auf der einen Seite blieben, auf der anderen Seite aber durch glattgeschliffenen Sound, der je nach Song auch mal reudige Härte zuließ, eine zuvor im Mainstream unbekannte Dynamik erzeugte.
Grunge ist tot und nicht wenige behaupten, dass er mit dem Selbstmord Cobains bereits im Jahr 1994 endete. Auch die Erfolge von Genrekollegen wie Pearl Jam, deren Verkäufe nach Mitte der 90er aber auch merklich zurückgingen, können diese Ansicht kaum in Frage stellen. So bleibt Grunge wohl eine der kürzesten Epochen im Rock-/ Metalbereich. „Lieber ausbrennen als langsam dahin siechen“ beendete Cobains Abschiedsbrief und dieser Satz trifft es vielleicht am genauesten: NIRVANA brachten den Grunge mit einem Urknall zu den Kids, aber in etwa genauso schnell und unbarmherzig war schon etwa 1000 Tage später Schluss. Geblieben sind dennoch irgendwie zeitlose Klassiker wie „Nevermind“. Aus heutiger Sicht mag die Bewertung vielleicht etwas hoch erscheinen, da die Platte außer viel kommerziellen Stoffs insgesamt wenig zu bieten hat, wenn man den Zeitgeist der frühen 90er unbeachtet lässt, aber mit ein wenig persönlichem Wehmut kann ich die Wertung absolut reinen Gewissens verteidigen.
Wertung: 8.5 / 10