Fünf Jahre lang mussten die Fans des amerikanischen Industrial Rock Großmeisters Trent Reznor auf ein weiteres Bilddokument von NINE INCH NAILS warten. Letztes Jahr nutzte man aber die ausverkaufte With Teeth Tour, um den Fans das zweite Livewerk zu bescheren. So wurden die Shows in Oklahoma City und El Paso Ende März des vergangenen Jahres aufgezeichnet. Ob es wirklich nötig ist nach der vorletzten nun auch die letzte Tour auf DVD zu bannen, sei dahingestellt, da ich „All That Could Have Been“ nicht besitze, hat sich die Frage für mich aber nicht gestellt.
Die NINE INCH NAILS Qualität beginnt schon bei der Aufmachung der DVD, die in ein Digipack gesteckt wurde. Das Cover ist stimmungsvoll, obwohl mich wie immer bei NINE INCH NAILS Veröffentlichungen der hässliche „Parental Advisory“-Sticker stört. Das DVD-Menü ist unspektakulär gestaltet, die Menüführung dadurch aber sehr einfach. Die Tracklist liest sich abwechslungsreich: Acht Titel kommen von „With Teeth“, leider nur einer von „The Fragile“, vier von „The Downward Spiral“, sehr zu meiner Freude zwei Songs von der genialen „Broken EP“ und drei Songs vom Erstling „Pretty Hate Machine“. Hauptaugenmerk liegt also ganz klar beim neusten Werk von Trent Reznor.
Diese neuen Songs drücken dann auch sehr kraftvoll aus den Boxen und kommen live sehr hart, fast metallisch rüber. Viel interessanter finde ich jedoch die Umsetzung der älteren, elektronischeren Stücke, die mit richtigen Instrumenten zwar einige Lagen der Soundcollage abgeben müssen, aber viel an Natürlichkeit gewinnen und richtig rocken. Sehr positiv sind mir auch die Einblendungen der Songtitel am Anfang jedes Liedes aufgefallen, die immer dezent in den Hintergrund eingepasst wurden.
Neben den offensichtlichen Highlights wie „Hurt“, das Trent in alter Tradition alleine am E-Piano spielt und bei dem ihm die Zuschauer wie üblich zu Füßen liegen oder dem aggressiven Meisterwerk „Closer“, verstecken sich auf der DVD auch einige Höhepunkt der unbekannteren Sorte. So wird „Hurt“, was Emotionen angeht, aus meiner Sicht eindeutig von „Something I Can Never Have“ geschlagen. Trent schreit, leidet, wirkt ab und zu beinahe hysterisch und man kann nicht anders als mit zu gehen. Die Aggression eines „Closer“ kann nur ein Song überbieten: „Wish“. Trent hat hier einen Song voll verzweifelten Hasses geschrieben, der mir fast Angst macht. Und diese Kraft, auch wenn sie negativ ist, wird in der Show voll umgesetzt, sodass der Zuschauer vor dem Bildschirm unmöglich ruhig bleiben kann.
Auch die Venue steigert die Stimmung noch zusätzlich. Das Licht wird sehr effektvoll eingesetzt, wobei die Farben in denen die Halle gerade erstrahlt, wunderbar zu der Stimmung des Songs passen. Wenn die Halle in ein dunkles Rot getaucht wird, weiß man dass es nun schneller und härter zur Sache gehen wird (So geschehen zum Beispiel bei oben erwähnten „Closer“). Als dann bei „Eraser“ und „Right Where It Belongs” vor der Band eine riesige Leinwand herunter gelassen wird, kann man einfach nur mehr ehrfürchtig staunen. Die Band wird dabei eins mit den Projektionen. Einfach nur ein Genuss für die Augen und Ohren. Dolby Surround 5.1 verstärkt den Liveeindruck noch zusätzlich.
Technisch gibt es also keinerlei Mängel, Bild und Ton sind gleichermaßen fehlerlos, doch einige Sachen haben mich doch etwas gestört: Warum durften die Fans zum Beispiele ihre Handys mit in die Halle nehmen? Immer wenn die Kamera über das Publikum hinwegfährt, hat man ein Handy vor den Augen, was doch etwas an der Stimmung nagt. Ich kann den Enthusiasmus des Gitarristen ja verstehen, aber sein dauerndes Über-Die-Bühne-Laufen und Gitarre-Um-Sich-Schwinken gehen einem mit der Zeit doch auf die Nerven. Und wenn er dann auch noch die Boxen und Instrumente zerstört, zieht das das Ganze für mich etwas ins Lächerliche. Ich weiß, dass es sich dabei um Tradition handeln soll, aber ich verbinde mit solchen Aktionen Möchtegern-Coolness und das hat NINE INCH NAILS nicht nötig. Aber alles nur rein persönliche Anmerkung, jemand anderen fällt dies vielleicht gar nicht negativ auf.
Trent sagt während des ganzen Konzertes zweimal „Thank You“. Manche mögen es als zu wenig Interaktion mit dem Publikum bezeichnen, für mich reicht das vollkommen, da mehr nur der Atmosphäre geschadet hätte.
Noch ein paar Worte zu den Extras: Diese sind zwar nicht allzu üppig ausgefallen, aber mit fünf Songs aus einem anderen Konzertabschnitt können sie mich als großer „The Fragile“ Anhänger wieder etwas glücklicher stimmen, da hier der Opener des Doppelalbums gespielt wird. Obwohl das Sommerkonzert nur ein Bonus ist, staunt man nichtsdestotrotz mit offenem Mund aufgrund der Lichtsituation und -effekte. Eine Bildergallerie, Videos und Einblicke in die Proben runden das knapp zweistündige Angebot schließlich ab.
Ich bin absolut begeistert von diesem Livedokument. Soviel zerstörerische, gleichzeitig aber melancholische und teilweise todtraurige Energie, wie bei „Beside You In Time“ vermittelt wird, sieht man selten. Die Aufmachung, der Preis, der Inhalt: Alles spricht für einen Kauf der DVD. Für Fans ist es sowieso Pflichtprogramm, aber auch Musikliebhaber, die hinter das Phänomen NINE INCH NAILS kommen wollen, fangen am besten hier an.
Wertung: 9.5 / 10