Zwölf Jahre ist es her, seit Trent Reznor mit seinem damals noch neuen Weggfährten Atticus Ross den Soundtrack für einen Film veröffentlicht hat, der nie gedreht worden ist: Das Doppelalbum „Ghosts I-IV“ beinhaltete 36 instrumentale, lediglich durchnummerierte Musikstücke, die nur selten klassischen Songstrukturen folgten – aber ohne Frage in jeder Sekunde nach NINE INCH NAILS klangen. Ein ungewöhnliches Werk, quasi Reznors und Ross‘ erster gemeinsamer Ausflug in die Welt der „klassischen“ Filmmusik (ersterer bereits vorbelastet durch die Arbeit an den Compilation-Soundtracks für Oliver Stones „Natural Born Killers“ und David Lynchs „Lost Highway“). 2020 veröffentlichen die beiden aus dem Nichts den fünften und sechsten Teil der Reihe als kostenlosen Download – zwei außerordentlich gegensätzliche Werke, wie schon nach den ersten Sekunden klar ist.
„‚Ghosts V: Together‘ is for when things seem like it might all be okay, and „Ghosts VI: Locusts„… well, you’ll figure it out“, schreiben Reznor und Ross in die Release-Notes und nehmen direkten Bezug auf die Corona-Krise. Und ja, „Ghosts V: Together“ ist dabei definitiv das positivere Werk. Analog anmutende, warme Synthesizerflächen und in Watte gepackte Pianoklänge lullen den Zuhörer sofort ein. Die Arrangements bauen dabei zumeist auf sich steigernde Wiederholungen auf. Gab es auf den ersten vier Teilen noch vereinzelte Industrial-Ausbrüche, sucht man Schlagzeug oder Gitarren auf „Ghosts V: Together“, zumindest bis Minute 63, vergeblich: Erst in „Still Right Here“ gibt es einen offensiv elektronischen Beat und verzerrte Gitarren auf die Ohren, ein schönes Finale, soundästhetisch sofort als NINE INCH NAILS erkennbar.
Der Ambient-Charakter macht das 70 Minuten lange Album ein bisschen gleichförmig, allerdings sind nach einigen Durchläufen durchaus musikalische Perlen wie „Your Touch“ erkennbar. Vermutlich hätte eine Gesamtlänge von unter einer Stunde „Ghosts V: Together“ im Hinblick auf Spannung und Abwechslung ganz gut zu Gesicht gestanden. Die Produktion ist typisch Reznor/Ross, die wie so oft das Kunststück vollbringen, die Musikstücke in einem warmen und gleichzeitig kaltem Glanz erstrahlen zu lassen. Irgendwie schön, aber trotzdem richten sich bei manchen Passagen die Nackenhaare auf – was ja auch schon irgendwie ein Qualitätsmerkmal ist.
„Ghosts V: Together“ ist kein klassisches NINE-INCH-NAILS-Album, sondern eher in der Tradition von Reznors Soundtrackarbeiten wie „Before The Flood“ oder „The Social Network“ zu betrachten. Kein Industrial, kein Synth-Pop, sondern ein Soundtrack – bestens geeignet für einen gemütlichen Abend mit einem Gläschen Rotwein und einem guten Buch. Für lau eigentlich ein No-Brainer für Freunde entspannter elektronischer Klänge und Filmmusik ganz allgemein.
Wertung: 6.5 / 10