Review Nightwish – Human :II: Nature

Die Veröffentlichung eines neuen NIGHTWISH-Albums war früher eine Art Naturereignis. Die genreprägenden Finnen schafften es immer wieder, nicht nur mit ihrer Personalpolitik, sondern glücklicherweise auch mit ihrer Musik für mehr als nur beiläufiges Interesse zu sorgen. Das passte gut zur ostentativ zur Schau gestellten Megalomanie des Hauptsongwriters Tuomas Holopainen. In den vergangen Jahren verloren NIGHTWISH aber nicht nur ihren prägnanten Drummer Jukka Nevalainen, auch Bassist Marco Hietala, dessen Backgroundgesang den Sound der Band seit „Century Child“ massiv geprägt hatte, verkündete nach Erscheinen des vorliegenden Albums erschöpft seinen Rückzug.

Vor diesem Hintergrund ist es auffällig, dass bei der Veröffentlichung von „Human :||:  Nature“ der übliche, ganz große Veröffentlichungs-Wunderorkan etwas geringer ausfiel. Nicht, dass der Anspruch der Platte nicht wieder ein ganz besonders ambitionierter gewesen wäre. Ein Doppelalbum musste es schon sein, damit der obligatorische und immer größer werdende abschließende „Monstersong“ überhaupt Platz finden konnte. Genauer gesagt schließt „All The Works Of Nature Which Adorn The World“ aber überhaupt kein Album ab, da er musikalisch wie konzeptionell separat auf CD Nummer 2 veröffentlich wird. Zudem spielt die Band bei diesem Werk gar nicht mit sondern wird durch ein Orchester ersetzt (das wie immer von Pip Williams arrangiert wurde). NIGHTWISH im eigentlichen Sinne findet nur während der Spielzeit der ersten CD statt. Und damit beginnt das eigentliche Problem.

Denn bei einer derartig strengen Zweiteilung muss das musikalische Material des „Band“-Teils durchwegs überzeugend sein. Holopainen hätte hier die Chance gehabt, den NIGHTWISH-Sound zu entschlacken und zu verdichten. Unbeeindruckt von der selbstgestellten Aufgabe, einen Mammutsoundtrack zu schaffen, hätte er mit kleinen, konzentrierten Songperlen seine kompositorische Bandbreite eindrucksvoll unter Beweis stellen können. Dies gelingt ihm nur teilweise.

Mit Songs wie dem einleitenden „Music“, dem rhythmisch interessanten „Shoemaker“ oder dem elegischen „Procession“ baut Tuomas spannende Lieder aus meist einer einzigen, mitreißenden Idee auf, variiert diese, bis sie sich immer höherschraubt und den Hörer immer tiefer einsaugt. Dazu singt Floor Janson facettenreich und songdienlich, auch wenn sie deutlich macht, dass die opernhaften Sopranzeiten höchstens als Zitat wiederkehren dürfen. Das alles funktioniert exzellent und überzeugender als ein vierhundertköpfiges Orchester mit Kinder- und Gospelchor. Hier wäre ein Pfad für die weitere musikalische Entwicklung einer Gruppe gewesen, die bisher nur mit „immer größer, immer mehr“ agierte und damit zwangsläufig in einer Sackgasse landet.

Doch das ist nur die eine, knappe Hälfte von CD 1. Diesen hoffnungsvollen Aufbrüchen gegenüber stehen mit „Noise“ oder insbesondere „How’s The Heart?“ generische NIGHTWISH-B-Seiten, die seit vielen Jahren auf jeder Platte schon überzeugender zu hören waren und de facto die immer gleiche Variation eines einzigen Themas sind. Ein Song wie „Tribal“ hingegen wirkt wie eine unausgeführte Ideenskizze und landet nach vielen Variationen im Nirgendwo. Der Folk-Ausflug „Harvest“ bleibt ein Fall von „Geschmackssache“, auch wenn er wieder einmal nicht erklärt, was genau Troy Donockleys Rolle in der Band ist und warum es ihn unbedingt gebraucht hat. Der Mann hat eine nette, unspektakuläre Stimme, die so oder so ähnlich an jedem Abend in tausenden Irish Pubs auf der ganzen Welt gehört werden kann.

War’s das schon? Nein, denn mit dem fantastischen Rausschmeißer „Endlesness“ zeigt Marco Hietala, der auf der gesamten Platte bisher fast nicht vorgekommen ist, was für einen immensen Verlust sein Ausstieg darstellt. Verzweifelt, euphorisch, variantenreich arbeitet sich Marco durch den packenden Song, der mit einer der ganz großen Melodien endet, für die NIGHTWISH so bekannt geworden sind. Er hinterlässt ein unbestimmtes Gefühl von Traurigkeit, dass hier etwas sehr Großes zu Ende gegangen ist.

Und CD Nummer 2? Wäre sie nicht da, man würde sie nicht vermissen. Ein unspektakuläres, halbstündiges Instrumental in Hans-Zimmer-Manier, das sich problemlos zwischen viele moderne Soundtracks mit der Tendenz zu „Dauer-Epik“ einreihen kann. Das große Brimborium zum Lob der Natur wird ausgepackt, schamanistische Trommeln beschwören den „König der Löwen“, ein Blauwal spannt seine Flügel auf und fliegt zur Sonne. Das ist harmlos und für einen Abend auf dem Sofa gut geeignet, große Kunst ist es dennoch nicht. Dass Tuomas für diesen Egotrip de facto seine Band opfert, macht das Ganz umso unangenehmer. Auch wenn der Titel des Albums den ganz großen thematischen Wurf suggeriert, die gesamte Bandbreite der Schöpfung musikalisch und auch lyrisch abzudecken: die beiden CDs haben fast nichts miteinander gemeinsam und brauchen sich auch gegenseitig nicht.

Es hätte NIGHTWISH gut zu Gesicht gestanden, wenn sie den vorhersehbaren Weg der Megalomanie verlassen und sich neu erfunden hätten. Die überzeugenden, minimalistischen Songs auf CD 1 zeigen überdeutlich, wie spannend, interessant und vor allem möglich diese Neuausrichtung gewesen wäre. Jeder einzelne dieser Songs schlägt das gesamte kraftlose Vorgängeralbum um Längen. Demgegenüber stehen leider ebenso viele langweilige Durchschnittssongs, die kaum mehr sind als Lückenfüller. Und das ist für ein Album, das mit 50 Minuten immerhin fast 20 Minuten kürzer ist als die vergangenen Veröffentlichungen (wenn man CD 2 außen vor, bzw. für sich selbst stehen lässt) einfach zu wenig. Es bleibt zudem unverständlich, warum Holopainen selbst Ausnahmemusikern wie Floor Jansen oder Kai Haato nicht den Raum gibt, den Songs mit ihrem Können einen individuellen Stempel aufzudrücken, zumal mit Marco Hietala der letzte spannende Gegenpol zu Tuomas gegangen ist. Nie waren NIGHTWISH weniger „Band“ als heute.

 

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Wertung: 5.5 / 10

Redaktion Metal1.info

Publiziert am von

3 Kommentare zu “Nightwish – Human :II: Nature

  1. @Caroline: „Eines der besten Metal-Alben aller Zeiten.“ Nun ja, DAS halte ich jetzt für ein gewagtes Statement :D Aber dennoch schön, wenn du so viel Freude daran hast :)

    @Stefan: Ich kann mir dem weitestgehend anschließen, denke ich. CD 1 rettet für mich das Album auch und lässt es mich als gutes – wenngleich nicht eines der besten – Nightwish-Album nehmen. Ich habe mir in der Tat erst vor ein paar Tagen mal wieder ein paar Songs davon angehört und mir gefällt wirklich jeder auf seine Art gut.

    Aber es fehlt dem Album halt ein Über-Song wie „Song Of Myself“, „Ghost Love Score“ oder auch „The Greatest Show On Earth“. DAFÜR wäre meiner Ansicht nach die zweite CD gedacht gewesen, und als man einen Longtrack auf einer eigenen CD ankündigte, dachte ich mir nur: „HOLY MOLY!!!“ Aber „All The Works Of Nature Which Adorn The World“, auch wenn es gut anzuhören sein mag, ist einfach kein Nightwish-Song – es ist eine Komposition Tuomas‘, auf der man Nightwish an sich ja aber schlicht nicht hört. Ich verstehe nach wie vor nicht, was der Track auf dem Nightwish(!!)-Album zu suchen hat, und dann auch noch an so prominenter Stelle auf einer ganz eigenen CD.

  2. Bin bei dem Album zwiegespalten und finde es schon gut, wenn auch nicht überragend. CD2 ist, ganz klar, nicht mehr als ein Pseudo-Soundtrack zum Nebenbeihören. Nichts besonderes, aber okay. Auf dem eigentlichen Album finde ich schon mehr Positives als du, vor allem „How’s The Heart?“ ist einer meiner absoluten Lieblingstracks von Nightwish. Da liegen so viel Gefühl und Emotion drin, auch die Akustikversion ist überwältigend. „Harvest“ gefällt mir ebenso, aber ja: Gerade da merkt man, wie sehr Hietala der Band fehlt.

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