Es mag eine gewagte Behauptung sein, doch sicherlich keine völlig an den Haaren herbeigezogene: Je tiefer man in den Metal vordringt, desto weiter entfernt man sich davon. Tiefer als bis in die Abgründe des Atmospheric Black Metal kann man diesbezüglich wohl nicht schürfen, handelt es sich hierbei doch um eine der untergründigsten und sperrigsten Formen des schwarzen Genres. Und doch sind gerade die Kreationen dieser Stilrichtung von dem, was man sonst unter Metal versteht, oftmals meilenweit entfernt. Somit ist es nicht verwunderlich, dass NHOR den Schreigesang und die rauen Gitarrenriffs 2015 auf „Momenta Quintae Essentiae“ vorläufig ad acta gelegt hat. Mit „Wildflowers“ geht der britische Einzelmusiker nun sogar noch einen Schritt weiter.
Handelte es sich bei „Wildflowers“ ursprünglich um vier in streng limitierter Stückzahl und ausschließlich auf Kassette herausgebrachte EPs, die nach der jeweiligen Jahreszeit ihrer Veröffentlichung benannt waren, so umfasst die diesmal lediglich auf Vinyl erhältliche Compilation alle 28 Stücke sowie vier zusätzliche neue Tracks. Dass man es hierbei nicht mit einem herkömmlichen Album, sondern vielmehr mit einem Sammlerstück zu tun hat, liegt jedoch nicht nur an den Umständen des Releases – auch in musikalischer Hinsicht geht NHOR damit keinesfalls den Weg des geringsten Widerstands.
Im Gegensatz zu „Momenta Quintae Essentiae“, auf dem das klassisch arrangierte Piano immerhin noch gelegentlich mit folkig-melancholischen Akustikgitarren und zurückhaltendem Gesang versetzt war, lauscht man auf „Wildflowers“ einzig und allein dem sanften Klavierspiel – keinem Gesang, keinen sonstigen Instrumenten. Freilich führt eine solch restriktive Herangehensweise nicht zwangsläufig auch zu einer Einschränkung des Ausdrucksvermögens. Tatsächlich versteht sich NHOR durchaus darauf, mit nur einer Handvoll Noten ein ganzes Spektrum an Emotionen durchklingen zu lassen, unter anderem etwa Tristesse („I Have No Stars Left To Wish Upon“), Einsamkeit („And So Passes The Glory Of Our World“) oder sogar Hoffnung („Light, Sing To Me“).
Trotz dieser verschiedenartigen Nuancen haben alle Kompositionen auf „Wildflowers“ jedoch denselben Grundton, und zwar den der Melancholie. Die naheliegende Chance, den vier Abschnitten die für die jeweilige Jahreszeit charakteristischen Wesenszüge zu verleihen, hat NHOR leider nicht ergriffen, sodass sich die alles andere als unbeträchtliche Spielzeit von 100 Minuten mitunter doch ziemlich in die Länge zieht.
So schön die Melodien und so aufrichtig die dahintersteckenden Gefühle auf „Wildflowers“ auch sein mögen, es ändert leider nichts daran, dass NHOR seine Hörerschaft darauf mit einer Wagenladung übertrieben minimalistischer und eintöniger Lieder überhäuft. Zwischen den vier Abschnitten sind nahezu keine Unterschiede zu entdecken und bis auf ein paar wenige Ausnahmen wie den fast schon dramatischen, unruhig drängenden Tempowechsel auf „Let The Rains Knock At My Door“ setzt sich kaum etwas davon im Langzeitgedächtnis fest. Als stimmungsvolle Hintergrundmusik für verregnete Abende eignet sich die Scheibe ohne jeden Zweifel, für ein erfüllendes, konzentriertes Hinhören tut sich jedoch schlicht zu wenig Interessantes.
Wertung: 6 / 10