Review Ne Obliviscaris – Urn

NE OBLIVISCARIS sind schlichtweg einzigartig, das kann wohl niemand leugnen. Kaum eine Band vermischt mit solch behänder Leichtigkeit die verschiedensten Genres, wie es die Australier seit ihrem 2012er Meisterwerk „Portal Of I“ zu tun pflegen. Selbst außerhalb der Metalszene ist die Genialität der Progressive-Extreme-Metaller auf offene Ohren gestoßen, einer ihrer Tracks wurde etwa auf dem Konservatorium in Sydney eingehend analysiert. Nachdem NE OBLIVISCARIS der Musikindustrie mit ihrer wegweisenden Crowdfunding-Kampagne ein wohlverdientes Schnippchen geschlagen hatten, gab es jedoch einen Rückschlag: Bassist Brendan Brown wurde der häuslichen Gewalt beschuldigt und daraufhin konsequent aus der Band geworfen. Kein Wunder also, dass man nach „Citadel“ immerhin drei Jahre auf den Nachfolger „Urn“ warten musste.

Wir erinnern uns (ganz nach dem Leitspruch NE OBLIVISCARIS): Bis auf die etwas übertrieben kreischenden Geigen im Intro und Outro war das zweite Album dem Debüt in rein gar nichts unterlegen. Spieltechnisch und in ihrem dynamischen Aufbau von unvergleichlicher Virtuosität, aber dennoch von der ersten Sekunde an unfassbar fesselnd und einprägsam, war es vor allem das Wechselspiel von urgewaltiger Kraft und atemberaubender Schönheit, das die beiden Platten so faszinierend machte.

An dieser magischen Formel rütteln NE OBLIVISCARIS auch auf „Urn“ nicht, die Stilelemente und ihre Gewichtung sind also in etwa gleich geblieben. Xenoyr ergänzt seine mächtigen Growls immer noch gerne mit fiesen Screams und Tim singt so theatralisch, elegant und gefühlvoll wie eh und je. Instrumental begeistert die inzwischen zum Quintett geschrumpfte Ausnahmeband nach wie vor mit kraftstrotzenden Riffs, progressiv-verspielten Leads und Soli, verträumten Clean-Gitarren und beschwingten Akustikpassagen sowie wuchtigem, vertracktem und zielgenauem Schlagzeug.

Dass der allzeit präsente, wohlig warme Bass notgedrungen von einem Gastmusiker eingespielt wurde, merkt man gar nicht, zumal NE OBLIVISCARIS hier offensichtlich darauf geachtet haben, einen würdigen Ersatz zu finden. Somit bekommt man einige fantastische Tieftöner-Soli zu hören, so wie es auch bei den übrigen Instrumenten der Fall ist. Und dann ist da natürlich noch das herrlich liebliche Spiel der Geige, in dem so unglaublich viel Gefühl zum Ausdruck kommt. Mal wehmütig, dann wieder sanft schwelgend oder überschwänglich glückselig tänzeln die Streicherklänge wie auf Schwingen durch den wütenden Sturm, ehe NE OBLIVISCARIS den Hörer auf dem Zwölfminüter „Eyrie“ gedanklich in himmlische Sphären erheben.

Die Faszination, die von „Portal Of I“ und „Citadel“ ausging, hat auch auf „Urn“ nicht im Geringsten nachgelassen. Die ineinander verschlungenen, vielfältigen Gesangsstile, die über alle Maßen komplexe, packende, stets kohärente Instrumentalisierung und nicht zuletzt die makellose Produktion sowie die wundervoll ästhetische visuelle Komponente, einfach alles, was NE OBLIVISCARIS hier umsetzen, ist ganz und gar überwältigend. Auf ihrem dritten Meisterwerk in Folge profilieren sich die Australier somit als eine der außergewöhnlichsten Metal-Bands unserer Zeit und als lebender Beweis dafür, dass man auch heute noch großartige, bahnbrechende Musik schaffen kann, wenn man sich seiner Sache voll und ganz hingibt.

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Wertung: 9.5 / 10

Publiziert am von Stephan Rajchl

7 Kommentare zu “Ne Obliviscaris – Urn

  1. Du hast schon recht: Auch getriggert kann man ein Schlagzeug so abmischen, dass es nicht nur nach Nähmaschine klingt, sondern einen volleren Sound hat, der eben nicht künstlich klingt. Aber dass sie wie Nähmaschine klingen setzt auf jeden Fall voraus, dass sie getriggert sind. Anders bekommst du diesen Sound nicht hin, weil Füße beim Spielen ja zwangsläufig unterschiedliche Anschlagsdynamik haben. Was es ja eben menschlich klingen lässt, also wer einen realistischen Sound haben will, müsste größtenteils auf Trigger verzichten bzw. diese nur dem Originalklang beimischen. So wie das Ne Obliviscaris Album klingt, wurden sie größtenteils durch Samplesounds ersetzt. Das wollen viele so, ich kann Hypnos da aber verstehen, dass das nervt, mich nervts eben auch sehr oft.

  2. Bin da voll auf hypnos Seite. Dieser Trend der letzten Jahre, die Drums wie eine programmierte Maschine klingen zu lassen, ist irgendwie ein ziemlich anti-musikalischer Ansatz (es sei denn, ein maschineller Sound gehört zum Bandkonzept (bei Fear Factory z.B.)). Man kann schnelle Blasts und Doublebasspassagen auch so abmischen, dass es organisch klingt (siehe z.B. das aktuelle Album von Der Weg einer Freiheit). Die Bassdrum hier hat einfach überhaupt keinen Punch mehr, man hört lediglich noch den Anschlag, dessen Höhen dann noch mal ordentlich angehoben wurden. Mich stört’s zwar nicht sonderlich, aber so grundsätzlich kann ich hypnos da voll verstehen und obwohl ich die Produktion ansonsten gut finde, ist sie für mich auch weit entfernt von makellos. Ist mir persönlich alles etwas ZU glatt und abgeschliffen.

    1. Ich muss ehrlich gesagt gestehen, dass ich gar nicht auf die Idee gekommen bin, dass Hypnos damit meinte, dass die Drums getriggert sind. Da muss ich schlichtweg sagen, dass ich damit persönlich kein Problem habe. Schon klar, so eine richtig volle Bassdrum ist auch etwas Schönes, aber bei manchen Alben muss das nicht sein. Ich finde zB dass NeO trotz aller Brutalität einen eher leichtfüßigen Sound haben, da stört es mich nicht, dass die Drums auch eher schnittig klingen. Meiner Meinung nach passt das hier einfach wie die Faust aufs Auge. Und ich finde die Platte um ein Vielfaches authentischer produziert als irgendwelche sterilen Modern-Metal-Scheiben.

  3. Hi Hypnos,
    ich versteh dein Unbehagen: Getriggerte Drums kann man lieben oder hassen, etwas dazwischen ist kaum möglich… NeO nutzen diese Technik durchaus auffallend, und dass du das so glasklar hörst, ist ein Indiz dafür, dass ihre Produktion eben doch ziemlich gut ist. ABER gut finden muss man den Sound dennoch nicht, denn wie du schon sagst, das Triggern lässt die Bassdrum eher nach heftigen Klackern klingen denn nach dem gewohnten, eher stumpferen Klang.

  4. hallo Stephan,

    hör dir zb.: Urn (part I) 1:57 – 2:00. dieser für mich extrem nervige Sound (wie das Tack-Tack einer Nähmaschine) zieht sich durch die ganzen schnellen Teile der Platte aber vor allem in diesem Lied. das klingt nicht wie vernünftige ‚echte‘ Drums, sondern zu sehr nach ‚Plastik‘

  5. es ist schon befremdlich hier von einer ‚makellosen Produktion‘ zu lesen, bedenkt man wie störend dieses ständige ‚Tack-Tack‘ der Schneidmaschinendrums sich im Gesamtsound auswirkt

    1. Hallo Hypnos,
      danke für deinen zwar kritischen, aber erfreulich höflichen Kommentar. Ich muss ehrlich gestehen, dass ich mir nicht sicher bin, was genau du meinst. Heute erst habe ich die Platte wieder gehört und mir fällt da absolut nichts Störendes auf. Es mag aber durchaus sein, dass da etwas ist, das mir schlichtweg entgeht, ich bin ja auch kein allzu großer Soundfetischist (andernfalls wäre ich wohl kaum so ein großer Black-Metal-Liebhaber, haha).
      Aber ich bleibe trotzdem bei meiner Meinung. Ich finde, dass alle Instrumente auf diesem Album genau so klingen, wie sie es sollten (auch der Bass!). Man hört immer alles gut heraus, kein Instrument überlagert zu sehr das andere, alles ist glasklar und kraftvoll und die Lautstärke passt auch stets perfekt. Man höre sich nur mal die himmlichen Streicher zu Beginn von „Eyrie“ an – sehr leise und dezent, aber dennoch genauso präsent wie die Clean-Gitarren und dadurch umso magischer.
      Vielleicht kannst du ja genauer beschreiben, worum es dir geht? Und was hältst du denn von dem Rest des Albums bezüglich Produktion und Komposition? Für eine anregende Diskussion bin ich immer zu haben. ;)

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