Der Sleaze Rock hatte in den 90ern bekanntlich so seine Schwierigkeiten und stand nach Meinung mancher kurz vor dem Aussterben. Die Schuld daran gaben viele der damals aufkommenden Grunge-Welle. Ähm, also ich habe in den 80ern mit Begeisterung Mötley, Quiet Riot, W.A.S.P., Cinderella und so weiter gehört. Mit dem Grunge habe ich mich weder in den Nineties noch sonst irgendwann beschäftigt und Nirvanas „Smells Like Teen Spirit“ ist der einzige Song aus der Grunge-Aera, der mir namentlich einfällt. Soll heißen, ich verstehe den Zusammenhang zwischen Problemen des Sleaze Rock und dem Entstehen des Grunge nicht wirklich.
Nach der Jahrtausendwende erfährt der Sleaze Rock jedenfalls nun eine Art Wiederauferstehung. Neben einigen immer noch Aktiven aus der alten 80er-Garde, mache ich dabei viele Bands aus Schweden als federführend aus. Hardcore Superstar, Chrashdiet oder Gemini Five zählen dazu. Auch NASTY IDOLS kommen aus Schweden. Allerdings sind sie nicht so ganz frisch im Geschäft. Die Band entstand 1987, veröffentlichte vier Alben und löste sich 1995 wieder auf. Bleibende Erinnerungen an ihr früheres Schaffen hinterließen die Hair-Rocker nicht. Im Zuge der neuen Sleaze-Welle reunierte man 2006, um auch wieder etwas vom großen Kuchen des Musikgeschäfts abzubekommen. Das erste Album nach der Reunion und das somit fünfte der Bandgeschichte heißt „Boys Town“.
Leider hört sich das Werk wie ein ziemlicher Schnellschuss an. Nur flott, flott komponiert, so dass der Abstand zur Konkurrenz nicht allzu groß wird und man auch noch ein paar Fans und potentielle Käufer an Land ziehen kann. „Boys Town“ rockt zwar schon und die Songs sind rotzig und haben Groove, doch es bleibt fast nichts hängen. Alles klingt wie schon mal gehört – und zwar in wesentlich besserer Form schon mal gehört. Es fehlen einprägsame Hooklines, starke Melodien und auch eingängige Höhepunkte. Ob man nun Vergleiche zu alten und noch immer existierenden Hasen (und Häsinnen) wie Mötley Crüe, Girlschool, Hanoi Rocks oder Alice Cooper zieht, oder die neue Generation des Sleaze Rock wie die weiter oben genannten Schweden-Bands als Messlatte nimmt: NASTY IDOLS ziehen eindeutig den Kürzeren. Das Songwriting wirkt ziemlich uninspiriert und nicht gut ausgearbeitet. Es heißt NASTY IDOLS hätten wohl das gesamte Jahr 2008 mit dem Komponieren der Songs zugebracht. Also alles andere als eine schnelle Produktion. Dann ist es umso trauriger, dass nicht ein paar aufregendere Momente mehr dabei herausgekommen sind.
Sogar das Gitarrenspiel wirkt irgendwie minimalistisch. Nur nicht allzu viele Akkorde verwenden, sonst werden die Konstrukte zu komplex. Selten habe ich in dieser Spielart eierlosere Riffs gehört. Bass und Schlagzeug machen ihren Job als Rhythmusbasis ganz anständig. Sänger Andy Pierce hat ein rotzig-rauhes Organ, wenn er ordentlich aus sich herausgeht. Markante Eindrücke kann er aber auch nicht hinterlassen. Der ganze Auftritt von NASTY IDOLS auf diesem Album kommt mir irgendwie lieblos vor. Sie lassen die Grundzüge des Sleaze – Vermittlung von unbändiger Power, Ausdruck von Rebellion gegen gesellschaftliche Strukturen und fabrizieren einer fetzigen Party-Mucke – irgendwo im Hintergrund verschwinden. Die Kompositionen wirken eher berechnend. Ein bisschen von diesem, ein bisschen von jenem und das wird schon funktionieren, die Hörer mitzureißen. Fehlanzeige!
Die besten Songs sind auf der rockigen Seite „Scar For Life“ und „Chrashlanding“. Bei den emotionaleren Stücken punktet „Nite Like This“. Zu richtig starken Nummern fehlt aber auch diesen noch einiges. Und dem gegenüber stehen dann richtig akzentlose Langweiler wie „48 Hours“, „7 Year Itch“, „It´s Not Love“ oder auch der Titeltrack „Boys Town“.
Insgesamt erreichen NASTY IDOLS mit „Boys Town“ nicht mal ganz Durchschnittsniveau. In meinen Augen ist dies das unnötigste Comeback, das der Hardrock in letzter Zeit gesehen hat. NASTY IDOLS konnten während ihres früheren Bestehens nichts bewegen und ändern daran auch nach der Reunion nichts. Es kamen im Laufe der letzten zwei Jahre derart gute Sleaze-Rock-Platten auf den Markt, dass man an „Boys Town“ beruhigt vorübergehen kann, ohne etwas verpasst zu haben.
Wertung: 4 / 10