Nailbomb - Point Blank Album Artwork

Review Nailbomb – Point Blank

Als Tontechniker und Producer mag der Name Alex Newport dem einen oder anderen Metalnerd durchaus ein Begriff sein, hat der gebürtige Brite mit Bands wie At The Drive-In, Melvins oder Bloc Party zusammengearbeitet. Als Musiker dürften sich allerdings nur die wenigsten an ihn erinnern, obwohl er mit seiner Band Fudge Tunnel und „Hate Songs in E-Minor“ ein in Sachen rifforientierter Gitarrenmusik durchaus stilprägendes Album veröffentlicht hatte, welches viele später selbstverständlichen Mechanismen des Industrial- und Nu-Metal vorwegnahm. Etwas bekannter war dagegen sein Sideprojekt NAILBOMB, in welches außerdem kein Geringerer als Sepulturas Max Cavalera involviert war.

Wir schreiben das Jahr 1994: Max Cavalera ist von Fudge Tunnel im Vorprogramm seiner eigenen Band so begeistert, dass er Newport vorschlägt, gemeinsam ein wenig zu jammen und mit Ideen herumzuspielen. Beide verbindet eine gewisse Punk-Attitüde, bei Cavalera mit einer spürbaren Metal- und Hardcore-Schlagseite, während der Fudge Tunnel-Frontmann begonnen hatte, eine Vorliebe Richtung Sampling und elektronischer Spielereien zu kultivieren.

Die ersten Jamsessions in Newports und Cavaleras Wahlheimat Phoenix verliefen zunächst etwas ziellos. Auch, weil der Sepultura-Frontmann gerne mal eine komplette Flasche Rum vor 16 Uhr intus hatte – bis Gloria Cavalera, Ehefrau und Max‘ langjährige Managerin, auf Newports Bitte hin intervenierte und Struktur in das Chaos brachte. Wie genau, ist nicht überliefert, aber sie schaffte es, die Kreativität der beiden in geordnete Bahnen zu lenken. Sie war es auch, die Roadrunner Records davon überzeugte, das später als „Point Blank“ betitelte Album zu veröffentlichen.

Musikalisch und tontechnisch war und ist NAILBOMBs einziges Album durchaus etwas Besonderes: Die Grundlage der (inklusive Bonustracks) 15 Kompositionen ist das Hardcore-Punk- und Thrash-Metal-geprägte Songfundament von Cavalera an der Gitarre, Newport an Gitarre und Bass sowie Sepultura-Drummer Igor Cavalera. Ziemlich räudig und fett aufgenommen und produziert hat „Point Blank“ einen äußerst charakteristischen Klang, der zwar an Sepultura oder Fear Factory erinnert, aber weder so organisch wie erstere, noch so quantisiert und maschinell wie letztere daherkommt Eine interessante und ausgesprochen gelungene Gratwanderung. Apropos Fear Factory: Dino Cazares ist bei „24 Hour Bullshit“ mit von der Partie und auch Sepulturas Andreas Kisser haut bei den Studioaufnahmen immer wieder in die Saiten.

Den Gesangspart teilten sich die beiden und Newports hasserfüllte Shouts passten großartig zur Sepultura-typischen Vocalarbeit von Cavalera. Für weitere Alleinstellungsmerkmale von „Point Blank“ sorgte der Brite allerdings im Alleingang, während Cavalera für die Mischung von „Chaos A. D.“ nach Wales reiste (was allerdings auch zu dem skurrilen Detail führte, dass der Chorus von „Sum Of Your Achievements“ von Cavalera über das Telefon eingeplärrt werden musste). Im Rahmen der Mischung ergänzte der Produzent und Tontechniker die vorhandenen, eingespielten Songteile um elektronische Noisescapes, Sprachsamples und sonstige, teilweise genrefremde Effekte. Ein frühes Zeugnis von Newports Qualitäten hinter dem Mischpult.

So wurden die punk- und hardcorelastigen Songs von „Point Blank“ mehr als nur ein bisschen Richtung Industrial Metal geschubst – eine Entwicklung, die Cavalera aber ziemlich recht gewesen sein durfte, zeigte „Chaos A. D.“ doch ähnliche Tendenzen, wenn auch völlig anders umgesetzt. Dass das Ergebnis dieser Bemühungen, auch durch seine jederzeit spürbare systemkritische inhaltliche Komponente, ein zeitloser Klassiker werden sollte, war jedoch damals für keinen der Beteiligten absehbar.

Ursprünglich wollten NAILBOMB „Point Blank“ niemals live spielen, das Angebot jedoch, auf dem legendären Dynamo Open Air 1995 (welcher in Sachen Line Up übrigens einer der spektakulärsten Jahrgänge in der fast 20-jährigen Geschichte des Festivals werden sollte) aufzutreten, war dann doch zu verlockend. Cavalera und Newport wollten den Gig zu einem einzigartigen Event machen und luden einiges an Prominenz zur Unterstützung auf die Bühne: Evan Seinfeld (Biohazard) und Dave Edwardson (Neurosis) am Bass, DH Peligro (Dead Kennedys) an den Drums sowie Rhys Fulber (Front Line Assembly) für die Elektronik machten NAILBOMB endgültig zur Supergroup. Der Mitschnitt des Auftritts ging als „Proud To Commit Commercial Suicide“ als einzige weitere Veröffentlichung in die Diskografie der Band ein.

Das Ergebnis der Zusammenarbeit von Newport und Cavalera klingt heute immer noch großartig. Punk- und Hardcore-geprägte Musik hat aufgrund ihrer Stringenz und Simplizität sowieso eine Tendenz zur Zeitlosigkeit, und auch auf „Point Blank“ ist das hörbar. Dabei gingen NAILBOMB alles andere als stumpf, sondern äußerst kreativ und abwechslungsreich zu Werke: Von Blastbeat-Prüglern wie dem Opener „Wasting Away“ über groovige Midtemponummern („Sick Life“) und Punk-Schrabbler („Blind & Lost“) bis hin zu Industrial-Stampfern („World Of Shit“) ist für jeden etwas dabei. „Point Blank“ ist somit auch etwas facettenreicher als die naheliegenden Vergleiche in Form von Fear Factorys „Demanufacture“ oder Sepulturas „Arise“. Dass die Geschichte von NAILBOMB nach nicht einmal zwei Jahren endet, zeigt ein weiteres Mal, dass die hellsten Lichter nicht immer am längsten brennen.

YouTube

Mit dem Laden des Videos akzeptieren Sie die Datenschutzerklärung von YouTube.
Mehr erfahren

Video laden

Wertung: 10 / 10

Publiziert am von

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert