Man stelle sich mal vor, eines schönen Tages finden sich drei Männer und eine Frau zusammen, die absolut unterschiedliche Interessen haben, was Musik angeht. Die Vier kommen ins Gespräch und beschließen letzten Endes, dass sie es doch mal zusammen versuchen könnten. Also… das Musik machen, meine ich. Auf eine Richtung kann man sich nicht wirklich einigen, also kommt die gute alte Kompromissbereitschaft daher und laut rufen sie im Chor „Machen wir doch einfach alles“. Gesagt, getan. Schnell werden noch ein paar Größen der deutschen Progressive-Szene angehauen, ob die nicht das Scheibchen mit ihrem Gesang veredeln wollen. Und schon steht das erste Lebenszeichen der Leipziger MOURNING RISE in den Startlöchern.
Der Name der Chose: „Five Ways To Illuminate Silence“. Ahja… dann wollen wir doch mal die Stille erhellen, oder wie? Ja, der Versuch das zu tun klingt… sagen wir mal… gewöhnungsbedürftig. Ich hab jetzt schon unzählige Reviews gelesen, die das Scheibchen über den grünen Klee loben. Immer ist da die Rede von „Ja, es ist sperrig und unzugängig, aber wenn man sich erst mal reingehört hat, dann…“. Gut, hier ist der Beweiß, dass ich ein unkultivierter Banause bin, denn obwohl sich „Five Ways To Illuminate Silence“ jetzt seit knapp sechs Stunden in Dauerschleife bei mir dreht (bei der Spielzeit von 25 Minuten kann sich jeder selbst ausrechnen, wie viele Durchläufe das sind) erschließt sich mir… Hm… Wie soll ich sagen? Nix.
Harte Worte, hoho. Und stimmen tun sie auch nicht ganz. Ja, MOURNING RISE können ganz gut mit ihren Instrumenten umgehen, ja, sie haben einen Haufen netter Gastsänger an Bord, ja, die einzelnen Puzzelteile, aus denen ihr Sound zusammengesetzt wurde, sind durchaus interessant (vor allem die an Dark Suns erinnerenden Zwischenspiele mit Niko Knappe). Hier ein netter, leicht jazziger Einwurf, da eine ordentliche Disco-Nummer, ein wenig Death Metal zwischendurch und da kommt ja auch schon der Prog um die Ecke. Ui. Auf dem Papier ist das alles sehr beeindruckend.
Auf CD aber leider völlig katastrophal. So gefällig die meisten Stücke sind, so nervig gestaltet sich das Gesamtkunstwerk. Immer wenn man gerade eine Stelle gefunden hat, die einem richtig gut gefällt, packt das Songmaterial einen an den Eiern, zieht sie lang und schreit dabei „HAHA, DENKSTE!!!“ (err… im übertragenen Sinne), nur um dann in eine ganz andere Richtung zu gehen. Das mag hin und wieder ganz nett sein, aber das passiert bei MOURNING RISE etwa fünf bis sieben mal pro Song und das stört einfach nur gewaltig.
Das erweckt nämlich in mir so einen Eindruck, den ich bei Musik ja nun gerade gar nicht leiden kann. Diese Progressivität um der Progressivität willen. Dieses „Lass mal verrückter sein als wie alle anderen“, nicht weil man die Musik, die man macht, fühlt und lebt, sondern weil’s einfach gerade mal cool wäre. Klar, vielleicht tu ich der Band völlig unrecht, vielleicht stehen sie voll und ganz hinter dem Kram, den sie hier fabriziert haben. Aber wenn dem so ist, dann haben sie gründlich dabei versagt, dieses Gefühl auf mich zu übertragen. Und das macht die Musik für mich so gut wie unanhörbar.
Da waren sie schon wieder, die gefürchteten letzten Worte. MOURNING RISEs erste EP „Five Ways To Illuminate Silence“ ist aus musikwissenschaftlicher Sicht oder für Leute, die die verrücktesten Musikexperimente da draußen suchen, vielleicht ganz interessant, aber für mich persönlich leider überhaupt gar nichts. Und ich wage einfach mal zu behaupten, dass ich nicht zu verbort oder zu unaufgeschlossen bin, um diese Musik zu „verstehen“.
Bewertung: -/10
Redakteur: Christian Heckmann
Fünf Wege die Stille zu erleuchten: Jenseits aller mehr oder weniger ausgetretenen und ganz sicher jenseits aller bisher bekannten Pfade wird von dem Leipziger Projekt ambitionierter Musiker, genau der richtige Weg gefunden, der von der ersten Sekunde an zu fesseln weiß.
Mourning Rise schaffen hier in 24 Minuten auf dichtestem Raum eine unglaubliche Stimmung, wie man sie leider viel zu selten findet. Man verzichtet gekonnt auf abgedroschenen Schablonen der in vielfältiger Weise dargebotenen Stile und formt ein neues großes Ganzes. Dieses wirkt dank immer wieder eingestreuter eingängiger Ohrwurmpassagen und der Gesangsleistung von Niko Knappe (Dark Suns) und Max Groh (Nuke Eastern Plot) nicht wie ein verkopfter Scherbenhaufen, sondern wie ein surreales Mosaik. Von arabischen Klagegesängen, afrikanischen Bongorhythmen über Grim-Vocals und immer wieder Metal, Jazz und sogar ein bisschen Elektronik lässt sich vieles entdecken. Eine Stileinordung ist deshalb völlig unmöglich und auch überflüssig, denn wer Genregrenzen braucht und in Schubladen denkt wird die Leipziger schon verloren haben, bevor er überhaupt den ersten Schritt auf ihrer Gratwanderung gemacht hat. Hier ist Offenheit und Interesse an Neuem gefragt, nicht die Sehnsucht nach den angestaubten Helden der Jugend und deren immer wieder kopierten Melodien.
Als Hörer fühlt man sich, als würde man in einen Traum abdriften. Alles wird einer so faszinierenden Stimmung untergeordnet, dass es völlig egal ist, wenn in einem Song der 10. Teilwechsel kommt und man beim ersten Hören überhaupt nicht mehr weiß, wo man sich gerade befindet – dass muss man auch nicht! Oder träumt einer von euch etwa in Strophe-Refrain-Strophe-Refrain Aufteilung? Wohl kaum!
Ihre Vielseitigkeit ist die große Stärke von Mourning Rise. Durch das Verweben krassester Gegensätze wird im Grunde jedes angewendete Genre pervertiert und missbraucht, um etwas viel Besseres zu schaffen. Die graphische Umsetzung und die Texte komplettieren das Bild dieses surrealen Traumes, einer absurden Katharsis, eines Drogenrausches ala Cronenbergs Interzone in Naked Lunch. Wieder einmal machen Leipziger eines klar: Es gibt keine Regeln, außer die, die wir selbst erfinden!
Willkommen also in der Postmoderne, die nicht erst seit Mourning Rise den Metal erreicht hat. In Deutschland entsteht eine neue Richtung im Metal, die zwar noch sehr jung und fast zu klein für eine Szene ist, doch ich bekomme das Gefühl nicht los, dass wir hier am Beginn von etwas ganz Großem stehen. Also schnell zugreifen um sich eines der auf 600 Exemplare limitierten Alben zu sichern.
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