Als gar nicht mal so leicht verdaulicher Industrial-Brocken entpuppt sich „I See What I Became“, das zweite Album von Scott Kelly und Sanford Parker alias MIRRORS FOR PSYCHIC WARFARE. Trotz des rein elektronischen Rhythmus-Fundaments von Parker (welcher als Produzent unter anderem das legendäre Pelican-Debüt zu verantworten, aber auch Keyboards und Synthesizer für beispielsweise YOB, Nachtmystium oder Blood Ceremony eingespielt hat) ist eine gewisse Verwandtschaft zu Kellys Hauptband Neurosis immer wieder erkennbar. Viel deutlicher ist jedoch die Parallele zur britischen Industrial-Legende Godflesh.
Nicht nur die gesamte Atmosphäre des Albums, auch die Vocal- und Gitarrenarbeit (letztere in dieser verzerrten Klangwolke nicht immer eindeutig als solche erkennbar) erinnern mehr als nur gelegentlich an die beiden genannten musikalischen Institutionen. Allerdings kommt Kellys Riffing hier etwas doomiger, noisiger daher und driftet manchmal sogar in beinahe dronige Gefilde ab. Der Gesang geht dabei in eine eher ruhige, erzählende und monotonere Richtung – durchaus vergleichbar mit der einen oder anderen Neurosis-Strophe, aber ohne wütende Ausbrüche à la Godflesh.
Auf der Habenseite von „I See What I Became“ ist definitiv das Sounddesign von Sanford Parker zu verbuchen: die elektronischen Elemente klingen durch die Bank modern, niemals (zu) Old School oder gar Gothic-lastig wie bei manch anderer Industrial-Band (als Beispiel seien Front Line Assembly oder Die Krupps genannt, deren musikalische und technologische Wurzeln oft in den achtziger Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts liegen – und die diese Klangästhetik bis heute bewusst transportieren). Pumpende Überkompression, massiver Distortion- und Delay-Einsatz, eine gewisse produktionstechnische Zerstörungswut sind hier Programm – aber mit System. Vergleiche mit anderen, primär destruktiven und modernen Vertretern der Zunft wie Bile, Author & Punisher oder auch Necro Deathmort sind auf jeden Fall zulässig. Dabei wirken MIRRORS FOR PSYCHIC WARFARE nie wie eine billige Kopie dieser Bands, sondern durchaus eigenständig.
Wo Licht ist, gibt es aber auch Schatten: das (zugegebenermaßen mit knapp 40 Minuten eher kurze) Album strotzt sowohl gesanglich als auch instrumental nicht unbedingt vor Abwechslung. Fast alle Songs bewegen sich im Midtempo-Bereich und die meisten Arrangements bauen auf sich steigernden Wiederholungen loopartiger Sounds und Beats auf. Dieses Repetitive hat zwar auch phasenweise etwas hypnotisches, mantraartiges, macht die Platte aber etwas eintönig und eben wenig facettenreich. Eindeutig erkennbare Verse- oder Chorus-Strukturen sind selten, doch auch hier bestätigen Ausnahmen die Regel: so fallen „Tomb Puncher“ und „Death Cart“ mit ihrem abwechslungsreicheren Songaufbau (und beinahe catchy Gesangsphrasen im Refrain) äußerst positiv auf.
„I See What I Became“ ist nicht für jedermann: Dem geübten, industrialisierten Ohr dürfte schon eine Menge Details und Feinheiten im Programming und Songwriting des Duos auffallen. Für den ungeübten Zuhörer könnte es jedoch etwas langweilig werden. Trotzdem handelt es sich um ein durchaus gutes Album, einen schönen urbanen Bastard mit einer ordentlichen Portion Seele, der aber ohne Synthpop-artige Melodien à la Nine Inch Nails auskommt. Sicherlich ein guter Soundtrack für unsere kaputte Welt – auch wenn die ganz großen Momente fehlen.
Wertung: 6 / 10