Menschen mit bekannten Vätern gibt es einige. Oft hilft das im Leben, nicht selten auch bei der Karriere. Musiker sind da keine Ausnahme, denn, mal ehrlich, wer hätte sonst je etwas von Kelly Osbourne gehört? Ein wenig misstrauisch war ich also schon, als mir das Debüt von MARYANN COTTON in die Hände fiel. Maryann Cotton heißt mit bürgerlichem Namen schließlich Jackie Patino und ist der Sohn von Hal Patino, dem langjährigen Bassisten von King Diamond, der passenderweise auch gleich den Bass auf diesem Album einspielte. Wahrscheinlich sorgte er auch dafür, dass die Instrumentalfraktion so hochkarätig aufgestellt ist: Neben Hal finden sich noch die Ex-King-Diamond-Mitglieder Snowy Shaw und Pete Blakk. Da ist es nur schlüssig, dass auch der Stammgitarrist des Kings, Andy LaRocque, ein paar Töne zum Album beigesteuert hat. Richtig „neu“ ist nur der 20-jährige Gitarrist Sebastian Sly. Allerdings verbirgt Jackie seine Herkunft hinter dem Pseudonym Maryann Cotton (eine englische Giftmörderin des 19. Jahrhunderts) und stößt in etwas andere musikalische Gefilde vor als sein Vater.
Wenig überrascht angesichts des Line-Ups, wie gut dabei die musikalische Leistung geraten ist. Jeder einzelne versteht sein Instrument, und auch die Zusammenarbeit sind (fast) alle Beteiligten schon lange gewohnt. Etwas verwirrend ist aber, dass nicht alle Musiker ausgewiesen sind. Sehr häufig hört man Klavier/Keyboard-Töne und sogar ein Saxofon verirrt sich mehrfach auf die Tracks des Albums – alles nicht unpassend, aber wer hat’s gespielt? Interessant wäre auch gewesen, wer die Songs geschrieben hat. In dieser Richtung zeigt die Band sich aber knauserig mit Informationen. Der Gesang des Newcomers hingegen ist interessant und abwechslungsreich geraten. Er präsentiert sich gefühlvoll und ruhig in den Balladen, böse und hinterhältig in den schnelleren Tracks. Man fühlt sich sofort an das große Vorbild von Maryann Cotton, Alice Cooper, erinnert. Eine wirklich beachtliche Leistung für ein Debüt.
Insgesamt ist die Musik als eher ruhig zu bezeichnen, richtig schnelle Lieder fehlen – kein Wunder, sind MARYANN COTTON doch fest im Glam Hard Rock verwurzelt. Positiv hervorzuheben ist, dass das Material abwechslungsreich geraten ist. Leider fehlt ihm der Ohrwurmfaktor. Es bleibt auch nach vielen Durchläufen nur wenig hängen, was daran liegen mag, dass vielen Tracks ein Höhepunkt fehlt. Sie plätschern vor sich hin, sind angenehm zu hören und stören nicht. Das ist vielfach aber auch schon alles, was man über sie sagen kann. Ein gutes Beispiel dafür ist gleich der Opener „Heaven Send For Me“, der einfach nicht auf den Punkt kommt – eine seltsame Wahl, an die Stelle hätte z. B. das etwas energische „Shock Me“ besser gepasst. Dabei haben manche Songs interessante Elemente: Der Track „Free Falling Angels“ groovt, auf „Get It On“ ist das Riffing eine Spur härter und überhaupt ist das Saxofon immer für Überraschungen gut. Besonders interessant ist „Die In Britain“, auf dem sowohl die reduzierten prägnanten Riffs als auch Maryanns Gesang im Refrain mutig an Michael Jackson erinnern – kein Scherz und kein schlechter Song!
Ob die Heterogenität des Materials daran liegt, dass unterschiedliche Musiker es geschrieben haben? Man weiß es nicht. Sicher ist aber, dass sich im Gegensatz zur Performance das Songwriting noch deutlich verbessern muss. Dennoch heben die enorme Professionalität aller Beteiligten und einige gute Ideen das Album aus dem Mittelmaß heraus. Es wird sich aber noch zeigen, ob die Band in diesem hochkarätigen, aber auch hochbeschäftigten Line-Up überhaupt eine Zukunft hat.
Wertung: 7 / 10