Review Marilyn Manson – One Assassination Under God – Chapter 1

Es ist schon schlimm mit dieser „Cancle-Culture“: Kaum kommt eine Frau dahergelaufen und erhebt Missbrauchsvorwürfe gegen einen Superstar, ist es um die lang und hart erarbeitete Karriere geschehen. Nicht. Nach Till Lindemann, der mit seiner Band Rammstein und sogar solo nach den größtenteils nicht entkräfteten (Macht-)Missbrauchsvorwürfen so erfolgreich ist wie nie zuvor, kehrt nun auch MARILYN MANSON zurück ins Rampenlicht.

Wir erinnern uns: Mehrere Frauen warfen dem selbsternannten „Antichrist Superstar“ Missbrauch bis hin zur Vergewaltigung vor. Vorwürfe, die von diversen Personen aus dem Umfeld der Band (u.a. Wes Borland von Limp Bizkit und einem ehemaligen Tourmanager) untermauert wurden. Während Esmé Bianco ihre Klage nach einer außergerichtlichen Einigung zurückgezogen hat und Morgan Smithline erklärte, ihre früheren Vorwürfe seien nicht wahr gewesen, sind nach wie vor mehrere Verfahren offen – darunter die wohl gravierendste von Evan Rachel Wood, die Brian Warner jahrelangen Missbrauch sowie eine Vergewaltigung bei den Dreharbeiten zum Video „Heart-Shaped Glasses“ im Jahr 2007 vorwirft – die von Brian Warner dagegen eingereichte Verleumdungsklage wurde abgewiesen. Im Oktober 2024 wiederum verlautbarte der oberste Staatsanwalt des Los Angeles County, dass neue Beweise aufgetaucht seien. Wann der Fall verhandelt wird, ist noch nicht bekannt. Auch gegenüber seiner ehemaligen persönlichen Assistentin Ashley Walters muss sich der Rockstar vor Gericht verantworten. Es geht um sexuelle Nötigung, Gewalttätigkeit, Körperverletzung und mehr, der Fall ist für 2025 zur Verhandlung angesetzt.

All dessen ungeachtet ist nun also auch MARILYN MANSON zurück im Game. Vier Jahre nach seinem letzten Album, und damit, rechnet man die Pandemie mit ein, völlig im Rahmen dessen, was auch zuvor schon sein Release-Takt war. Auch sonst scheint MANSON nicht nur weich, sondern (wie Lindemann) nach oben gefallen zu sein: Nachdem ihn das Klein-Label Loma Vista, bei dem MANSON mit sinkendem Publikumsinteresse für den Karriereabend eingerichtet hatte, gedroppt hatte, kannten das deutsche Metal-Major Nuclear Blast Records keine Skrupel und verschaffte dem Rockstar den Vertrag mit der wohl besten Reichweite seit seine Zeit beim Universal-Ableger Interscope nach „The High End of Low“ 2009 endete und MANSON durch die Roster kleinerer oder selbst gegründeter Labels wanderte. Aber auch sonst scheint die Marke MARILYN MANSON nichts an Strahlkraft eingebüßt zu haben, wie ein kurzer Blick in die gängigen Ticketportale (alle angekündigten Shows restlos ausverkauft) zeigt.

All das hat mit der Musik, die MARILYN MANSON nun unter dem Titel „One Assassination Under God – Chapter 1“ veröffentlicht, natürlich nur indirekt zu tun. Und doch ist es vor diesem Hintergrund – wie schon bei Till Lindemann – unmöglich, die Musik davon losgelöst zu betrachten. Daran ist, neben der Moral des Rezipienten, vor allem MARILYN MANSON selbst schuld, der sich ausgerechnet für dieses Album zur Aufgabe gemacht hat, „die erste Hälfte seiner Geschichte“ zu erzählen, wie er auf Facebook schreibt – und dabei keine Gelegenheit auslässt, die Opferrolle zu penetrieren. Natürlich ist alles eine Frage der Lesart, aber aus Zeilen wie den folgenden nicht die Kränkung des gefallenen Superstars durchklingen zu hören, fällt schwer:

Everybody showed up for the execution. But nobody would show their face. To shoot you in. The back of the head. And call it sacrifice. They don’t deserve to even say your name. („One Assassination Under God“)

Pain is the language. That was spoken to me. Now it’s my time to answer. Look at yourself. For someone to blame. You’re the only one who should be ashamed.“ („Nod If You Understand“)

Are you here for the resurrection? How deep did you dig my grave? Cancel your subscription. You’re the one who needs to be saved […] Let’s get evil. I’m feeling sacrilegious. I’m coming back, baby.“ („Sacrilegious“)

Losers love liars to their dying day. I don’t give a fuck. If you say you’re sorry. I won’t accept your surrender. Its tie to. Beat up the bullies and. Wash the bullseye off my back. My red flag is your white one. Soaked in blood.“ („Raise The Red Flag“)

So ist aus dem großen Gesellschaftskritiker und Geschichtenerzähler MARILYN MANSON ein um sich selbst kreisender, selbstgefälliger Autobiograf geworden. Auffällig ist dabei die Unmenge an religiösen Bezügen im Textwerk: Wo man hinschaut, wird geopfert, gefrevelt und gebetet, Gott hier, Fegefeuer da, und dazwischen – natürlich – der große Star („Now God will swallow me. The greater the star. The more violent its demise. Maybe it was forced attrition. When you pray you cannot lie.“), der nicht nur seine Strahlkraft, sondern offenkundig auch den „Antichrist“ verloren hat. Nach dem bizarr anmutenden Gottesdienst-Auftritt mit Justin Biber und Kanye West bei dessen „Sunday Service“ vermag das nicht mehr wirklich zu überraschen, und es wäre schlussendlich sogar egal. Wäre der ehemalige „Antichrist Superstar“ wenigstens noch „super“.

Hier nun endlich kommen wir also zur Musik: Während Lindemann sich für „Zunge“ (2023) gleich eines ganzen Profi-Ensembes bediente, hat MARILYN MANSON diese Aufgabe einmal mehr Tyler Bates überantwortet, der bereits die Musik von „The Pale Emperor“ (2015) und „Heaven Upside Down“ (2017) geschrieben hat. In der logischen Konsequenz ist an der Musik dann auch nichts schlecht: Der mehrfach ausgezeichnete Filmmusik-Komponist versteht sich auf sein Handwerk – und auch darauf, MARILYN MANSON nach MARILYN MANSON klingen zu lassen. Mitunter mehr, als es MARILYN MANSON selbst gelingt, der zwar in Topform zu sein scheint, gerade deswegen aber jenen herrlichen Schmutz in der Stimme vermissen lässt, der früheren Alben erst ihren Charakter verliehen hat. Das passt, ironischerweise, wiederum sehr gut zu den Songs – denn auch diesen fehlt, leider, jedwede Rock-’n‘-Roll-Attitüde – alles wirkt geplant, berechnet, und vielfach erprobt. Selbst das eruptive „Nod If You Understand“ bleibt schlussendlich viel zu brav – vor allem aber den unzähligen Midtempo-Nummern fehlt es an Profil.

MARILYN MANSON dürfte im Hinblick auf seine Karriere tunlichst darauf bedacht gewesen sein, ein erfolgreiches Album zu produzieren. In dieser Hinsicht ist es ein logischer Schritt, abermals mit Tyler Bates zusammenzuarbeiten, der MARILYN MANSON bereits zwei leicht verdauliche Rock-Alben auf den Leib geschrieben hat. Der Abnutzungseffekt der Bates-Alben, der bereits bei „Heaven Upside Down“ zu beobachten war, setzt sich mit „One Assassination Under God – Chapter 1“ allerdings fort: War das mit Shooter Jennings als Sparringpartner entstandene „We Are Chaos“ (2020) ein frisches und experimentelles Album, spielen MANSON und Bates nun viel zu sehr auf Sicherheit. Längst nicht alles daran ist schlecht – wer jedoch ob der im Raum stehenden Vorwürfe Bedenken hat, weiterhin MARILYN MANSON zu hören, hat mit diesem Album nichts verpasst.

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Wertung: 7 / 10

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