Review Mar De Grises – The Tatterdemalion Express

  • Label: Firebox
  • Veröffentlicht: 2003
  • Spielart: Doom Metal

Manchmal ist die Arbeit eines Musikjournalisten schon ein echt hartes Brot. Wenn mal wieder eine gnadenlos schlechte Promo ins Haus flattert und man sie der Chronistenpflicht wegen wenigstens dreimal durch die Anlage scheuchen muss. Oder wenn man eine seiner Lieblingsplatten rezensieren will, aber einfach nicht die richtigen Worte findet, weil alles, was man sagen könnte, nur nach unreflektiertem Geblubber klingen würde. Wenn man wegen einer schlechten Bewertung von Fans der Band oder des Albums angefeindet wird. Oder – und damit haben wir’s heute zu tun – wenn man zum umpfzigsten Mal eine CD rotieren lässt, wenn man weiß, dass sie verdammt gut ist, wenn einem auf die Frage „Warum magst du die Debut-CD von MAR DE GRISES?“ aber nichts anderes einfallen will als „Ja hör sie dir doch mal an, die muss man doch mögen“. Schwierig.

Ja, „The Tatterdemalion Express“, die erste CD von Chiles bekanntester Doomdeath-Band, hab ich jetzt schon eine ganze Weile und seitdem sie in meinem Briefkasten landete jagte ich sie schon ganzschön oft durch diverse Stereoanlagen, DVD-Player, Computerlaufwerke, MP3-Player und so weiter. Und jedes Mal, wenn das geniale Intro von „To See Saturn Fall“ oder das extrem packende Riff von „Storm“ durch die Boxen oder Kopfhörer schallt, dann will mir wieder das Herz übergehen. Aber wieso eigentlich?
Vielleicht, weil MAR DE GRISES (zumindest auf ihrer Ersten CD noch, mit „Draining The Waterheart“ hab ich mich noch nicht so ausführlich auseinandergesetzt) selbst für Doomdeath so unkommerziell und eigenständig klingen, wie es nur möglich ist. Schon die ersten Takte des Openers „El Otro“ machen klar „Das hier wird kein Easy Listening“. Bockschwere, irgendwie dissonante Riffs wabern durch die Boxen, dazu ein heftiges Grunzen aus der Kehle von Marcelo Rodríguez… Selbst für Doomdeath-Verhältnisse ist der erste Track von „The Tatterdemalion Express“ harter Tobak. Eine extrem zerstörerische und verdammt dichte Soundwand schlägt dem Zuhörer da entgegen… Und doch ist da etwas filigranes, geradezu zerbrechliches… Ein einzelnes Piano, dessen sanfte Klänge sich in den Sturm mischen und zum ersten mal während der 56 Minuten, die das Album dauert, den faszinierenden Widerspruch von MAR DE GRISES‘ Musik herauskehren.

Wie kaum eine andere Band in dem Genre schaffen die Chilenen es nämlich einerseits handwerklich so brutal, so heftig zu sein, wie es nur geht. Andererseits wirkt ihre Musik aber nur auf den ersten Blick so. Das krachende Schlagzeug, die dröhnenden Gitarren, der hämmernde Bass und Rodríguez heftig verhalltes Grunzen, das ist zwar nicht von schlechten Eltern, aber wenn man dann mal genauer drauf achtet, der CD ein paar Durchläufe gibt und sich darauf einlässt, dann entfaltet sie eigentlich jederzeit diese zerbrechliche Schönheit, die irgendwo über/unter/vor/hinter dem Soundbild des Quintetts schlummert. Die gehört werden will.
Da stößt man auf solche Hamerriffs wie bei „Storms“, auf so gefühlvoll vorgebrachte Textzeilen wie bei „Recklessness“, auf so eine Pianospur wie bei „El Otro“… Das ist Musik zum Entdecken, zum Atmen, zum (Er)Leben, nicht nur so zum Hören. Mit den ersten vier Tracks ihrer Debut-CD haben MAR DE GRISES wirklich was für die Ewigkeit geschaffen.

Hm… naja, und dann? Dann geht den Knaben auf den letzten Metern leider irgendwie ein wenig die Luft aus. Das „kurze“ Interludium „Self Portrait No.1“ (bringt es auf viereinhalb Minuten) lädt zum Durchschnaufen ein, ja, aber danach schaffen MAR DE GRISES es irgendwie nicht mehr, zur Stärke der ersten zwei Drittel der CD zurückzufinden. Es fehlt einfach an der wirklich überrollenden, mitreißenden Brutalität, die den filigranen Melodien den Rücken stärkt. „Be Welcome Oh Hideous Hell“ und „Onírica“ sind keine schlechten Songs, irgendwie aber doch ein unwürdiger Ausklang für die genialen vier Lieder am Anfang der CD.
Trotzdem sollte man als aufgeschlossener Doom Fan diese CD unbedingt antesten und ihr mehr als nur einen Durchlauf in der Anlage spendieren, denn „The Tatterdemalion Express“ hat’s nötig, ergründet zu werden. Dann rockt das Ding aber gewaltig.

Wertung: 9 / 10

Geschrieben am 6. April 2013 von Metal1.info

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