„Ja, sind wir denn jetzt bei Nightwish?“ Nein, sind wir nicht, aber diese Frage könnte sich dem Hörer während der ersten Sekunden von „The Grey Realms“, dem Debüt-Album der finnischen Symphonic-Metaller LOST IN GREY, durchaus stellen. Immerhin wird er gleich zum Auftakt von pompösen Soundwänden und Chören empfangen, was durchaus an die Genre-Hochkaräter aus dem selben Land erinnert. Damit gelingt LOST IN GREY ein durchaus überzeugender Einstieg in eine Platte, die am Ende trotz guter Ansätze ein Stück hinter ihrem und dem Potenzial der Musiker zurückbleibt.
Schon kurz nach dem vielversprechenden Intro des Openers „Waltz Of Lillian“ sorgen die Clean-Vocals von Bandkopf Harri Koskela für Stirnrunzeln. Trotz der angenehm melancholischen Stimme wollen die in eher schlecht als recht ausgesprochenem Englisch verfassten Gesangslinien nicht wirklich gefallen. Seine Growls hingegen, die er im Laufe des Albums glücklicherweise deutlich öfter verwendet als den Klargesang, sind zwar Standardware, aber hörbar. Wie im Symphonic Metal üblich, wird der Großteil der Vocals jedoch ohnehin durch Frauenpower umgesetzt, wobei Power hier nicht unbedingt zutreffend ist. Der Lead-Gesang ist zwar keinesfalls schlecht, allerdings auch weit davon entfernt, in irgendeiner Weise herausragend zu sein.
Allzu besondere Songs bekommen die Stimmen jedoch ohnehin nicht zum Veredeln. Die Mixtur aus Bombast und Metal funktioniert ganz grundsätzlich und in der Tat finden sich auch einige gute Ideen beim Songwriting. Insgesamt aber erscheint das Material auf „The Grey Realms“ über weite Strecken zu belanglos, um wirklich zu begeistern, da nützt es auch nichts, noch einen Chor und noch einen und dann noch einen in die Nummern zu pressen. Viel hilft nicht immer viel. Hoch anrechnen muss man LOST IN GREY indes den oftmals abwechslungsreichen und facettenreichen Aufbau ihrer Songs. Dieser bringt zwar auch die eine oder andere unpassend und zusammenhanglos wirkende Passage mit sich, immerhin bietet die Band jedoch häufig Abwechslung jenseits des einfachen Strophe-Refrain-Strophe-Schemas. Dennoch mangelt es an wirklich zündenden Ideen, an Parts und Refrains, die sich wirklich im Kopf festsetzen und nicht nur durch eine Überbetonung der sich reimenden Wörter, wie sie im Chorus des bereits erwähnten Openers auffällt.
LOST IN GREY ihr Können abzusprechen, wäre unfair. Sie sind eine Band mit Potenzial und ihr Erstling „The Grey Realms“ ist ein Werk mit einem soliden Grundgerüst. Recht viel mehr jedoch leider nicht. Die ganz großen Ideen, um besondere Songs zu kreieren, fehlen noch. Dass diese in der Zukunft der Band noch ihre Umsetzung erfahren, ist jedoch denkbar sowie wünschenswert.
Wertung: 6 / 10