Was wäre herausgekommen, wenn die schottische Post-Rock-Institution Mogwai statt Indie und Shoegaze unterkühlten Black Metal als Haupteinfluss für ihre Kompositionen gewählt hätte? Vermutlich so etwas wie LOCRIAN, die auf ihrem nunmehr achten Album „End Terrain“ ein weiteres Mal (lyrisch, aber auch soundästhetisch) den Weltuntergang durch Menschenhand zelebrieren. Der perfekte Soundtrack für jede deprimierende Nachrichtensendung in diesen Tagen oder substanz- und strukturloser Krach für Hörer, die eh nichts mehr spüren?
Auf jeden Fall Ersteres: LOCRIAN haben über die Jahre hinweg ihren ohnehin sehr einzigartigen Sound weiter perfektioniert. An eingangs erwähnte Mogwai erinnern hierbei vor allem die regelmäßig erklingenden Synthesizer, während die Songfundamente dreckige Gitarren, entsprechende Drums und verhallte Screams stellen. Diese beiden Gegenpole klingen kombiniert ausgesprochen gut und schaffen eine intensive Atmosphäre, die man so noch nicht an jeder Ecke gehört hat.
Aufgrund der unkonventionellen Arrangements, in denen auf klassische Strophe-Refrain-Strukturen weitestgehend verzichtet wird, braucht es etwas länger, bis man Zugang zu den neun Tracks auf „End Terrain“ findet. Wer die Geduld jedoch aufbringt und bereit ist, die eigene musikalische Komfortzone zu verlassen, wird mit einem einzigartigen Sounderlebnis belohnt, welches sogar den einen oder anderen Ohrwurm bereithält. Schon der mantraartige Arpeggio-Synth im Opener „Chronoscapes“ dreht noch Stunden nach dem Hören seine Runden im Mittelohr, ebenso wie das erste, wunderbar dystopisch-sphärische Drittel von „Utopias“.
Von letztgenanntem Song einmal abgesehen („Utopias“ ist über acht Minuten lang) bewegen sich die Songlängen im Bereich von zwei bis fünf Minuten. Das ist für Post-Black-Whatever-Metal-Verhältnisse beinahe als kompakt zu bezeichnen, steht LOCRIAN aber ziemlich gut zu Gesicht und sorgt für Abwechslung. Trotz des Verzichtes auf klassische Songstrukturen beweist das Trio aus Chicago ein wirklich gutes Händchen in Sachen Arrangementaufbau: So fühlt sich kein einziger Part zu lang oder zu kurz an, alles geht trotz herber Kontraste reibungslos ineinander über.
Ein bisschen Blastbeat hier, ein wenig markerschütternde Screams da: Auch wenn es nicht einen Takt auf „End Terrain“ gibt, der als klassischer Black Metal durchgeht, finden sich auf dem Album regelmäßig Reminiszenzen in die Richtung. Das betrifft hauptsächlich den Gesang, aber auch die letzten Takte von „Utopias“ wären hierfür ein gutes Beispiel. Es sind zwar vor allem die omnipräsenten Synthesizer, die gerne mal im Ohr hängenbleiben, das heißt aber nicht, dass die restliche Instrumentalisierung farb- oder gar belanglos ist. Das klassisch-straighte, beinahe zum Haupthaarschütteln anregende Riff in „Excarnate Light“ ist ein echtes Highlight, während die groovige Midtempo-Nummer „The World Is Gone, There Is No World“ schon fast an einen … ja, „normalen“ Song grenzt. Also zumindest das letzte Drittel. Klingt komisch, ist aber ausschließlich positiv gemeint.
Und man darf vermutlich dankbar sein, dass sich LOCRIAN bezüglich der Produktion nicht am klassischen Black Metal orientiert haben. Im Gegenteil, „End Terrain“ ertönt recht fett und insgesamt rund aus den Boxen, lediglich eine leicht unterkühlte Note beim ausgeprägten Gesangshall und den elektronischen Elementen erinnert an besagtes Genre. Dass keine Bassgitarre eingespielt wurde und Tieffrequentes ausschließlich aus den Synths kommt, verstärkt diesen Eindruck möglicherweise noch. Der Schmutz, der den Gitarren- und Schlagzeugsound maßgeblich prägt, stellt hier einen schönen Kontrapunkt dar.
Apropos Kontrapunkt: Die beiden sehr gegensätzlichen Interludes „Umwelt“ und „Innenwelt“ sind ebenfalls sehr gelungen. Ersteres beinahe positiv oder optimistisch (für LOCRIAN-Verhältnisse, das muss noch einmal betont werden), wären da nicht diese leisen Noise-Sounds im Hintergrund. Zweiteres in erster Linie verstörend aufgrund artverwandter Noise-Sounds, diesmal aber laut und im Vordergrund. Dass „End Terrain“ davor, dazwischen und danach mal nach Death Metal (zweite Hälfte von „Chronoscapes“) oder Isis (der Mittelteil von „Utopias“ mit seinem beinahe beschwingten Beat und Cleangesang), mal nach Mono (die ersten Takte von „After Extinction“) oder eben Mogwai (der Anfang von „In The Throes Of Petrifaction“, zumindest bis die Vocals einsetzen) klingen, ist gleichermaßen faszinierend wie beeindruckend.
Und so lässt sich LOCRIANs „End Terrain“ auch hervorragend zusammenfassen: Gleichermaßen faszinierend wie beeindruckend, was das Trio aus Chicago hier erschaffen hat. Das Ganze lässt sich nur schwer vergleichen, aber beispielsweise Altar Of Plagues’ „Teethed Glory And Injury“ schlägt in Sachen Intensität und Unkonventionalität in eine ähnliche Kerbe. Sollte man als Freund:in atmosphärischer und extremer Musik auf jeden Fall mal gehört haben.
Wertung: 9 / 10