Der Vampir ist eine ambivalente Kreatur. Für „Twilight“-Autorin Stephenie Meyer ist er das glitzernde Objekt der Begierde pubertierender Mädchen. Anne Rice interpretiert das lichtscheue Wesen in „Interview mit einem Vampir“ hingegen als tragisches Geschöpf, mit sich selbst im Zwist. Vor allem aber ist der oft als Allegorie für die raffgierige Aristokratie herhaltende Blutsauger eine Schreckensgestalt, um die sich unzählige grauenerregende Volksmythen ranken. Dieser und nur dieser Vampir, dem jedwede Sentimentalität so völlig fremd ist, dient LIGHT OF THE MORNING STAR als lyrische Inspiration. Mit der verführerischen Düsterromatik alter Cradle Of Filth oder Moonspell hat das zwischen Gothic, Doom und Black Metal rangierende zweite Album der Briten, „Charnel Noir“, nur wenig gemein.
Sowohl die klangliche als auch die visuelle Ästhetik der Platte weist LIGHT OF THE MORNING STAR auf Anhieb als stilbewusste Debemur-Morti-Band aus. Die in den Reihen des französischen Labels beliebte Schwarz-Weiß-Optik passt gut zu dem Bild eines leichenblassen Nachtwandlers, das auf dem Album-Cover subtil durch die unmenschlich spitzen Fingernägel einer im Dunkeln stehenden Gestalt angedeutet wird. Auch musikalisch trägt „Charnel Noir“ keine Farbe, kein Leben und erst recht keine Wärme in sich.
In den zwischen drei und sechs Minuten langen Tracks spielen LIGHT OF THE MORNING STAR mal verheißungsvoll getragene, mal zudringliche, stets jedoch unbehaglich raue Gitarren und Drums. Manchmal schiebt sich eine knurrende Bassline in klassischer Post-Punk-Manier in den Vordergrund („There Are Many Shadows“), während quer durch die Songs versprengte Pianotöne und Keyboards eine beunruhigende Gothic-Horror-Atmosphäre aufkommen lassen. Große Melodien, an denen man sich gedanklich festhalten könnte, gibt es auf „Charnel Noir“ nicht. Das gilt auch für den ausnahmslos cleanen Gesang, der sich nicht selten von einem heimsuchenden, monotonen Raunen in ein unheimliches Flüstern verwandelt.
Im Geiste fühlt man sich auf die Straßen eines mitternächtlichen Londons versetzt, in furchtsamer Erwartung dessen, was womöglich hinter der nächsten Ecke lauert – bloß, dass man das Ungetüm mit seinem spitzen Zähnen und roten Augen nie zu Gesicht bekommt. Denn obgleich LIGHT OF THE MORNING STAR im Zuge des mit einem kalten, harten Sound versehenen Albums immer wieder Spannung aufzubauen scheinen, entlädt diese sich in den kargen Stücken doch nie.
Was LIGHT OF THE MORNING STAR auf „Charnel Noir“ machen, nennt sich im BDSM-Sprech „Edging“: Man wird von den vermeintlich auf der Lauer liegenden Tracks auf die Folter gespannt, zu einer zufriedenstellenden Auflösung kommt es jedoch nicht. Die konturlose Mischung aus Gothic, Doom und Black Metal der Londoner ist an sich zwar interessant und atmosphärisch, dem Songwriting und insbesondere dem Gesang fehlt es allerdings an Prägnanz. Bis auf wenige Ausnahmen wie das besonders bedrohliche „Lid Of A Casket“ erscheinen die Tracks auf „Charnel Noir“ – ironischerweise – ziemlich blutleer, was dem Album das unschöne Label „Style over Substance“ einbringt.
Wertung: 6 / 10