Traditionen bedeuten für viele Menschen eine gewisse Bequemlichkeit, in die sie in Zeiten großer Veränderungen immer wieder zurückfinden können, weil sie immer da sind und man sich auf sie verlassen kann. Auch im Metal gibt es diese Traditionen, mit ihnen zu brechen ruft bei vielen Fans Ablehnung und Unverständnis hervor. Kein Wunder also, dass auch nach vielen Jahren immer wieder Platten herauskommen, die zum gefühlt hundertausendsten Mal die gleichen musikalischen und konzeptionellen Ideen verwursten, die sich bei den Fans stets bewähren.
Auch bei LIBER NULL und ihrem neuen Album „I – The Serpent“ gibt es über die gesamte Spielzeit hinweg keine wirkliche Originalität oder Individualität zu entdecken. Auf sechs mal mehr, mal weniger ausschweifenden Stücken stellt die Truppe lieber unter Beweis, dass sie ihre Black-Metal-Hausaufgaben sorgfältig gemacht hat. Daran lässt sich zunächst auch nicht viel aussetzen. Die drei Musiker zeigen gerade in Sachen Songwriting, dass sie sich nicht zum ersten Mal mit dem Genre befassen. Besonders bei Blut-aus-Nord-Schlagzeuger Thorn, dessen Biografie zahlreiche weitere Metal-Projekte aufweist, lässt sich zweifellos seine große Erfahrung heraushören. Zwar sind, wie so oft bei Black-Metal-Bands, auch bei LIBER NULL die Blastbeat-Passagen am stimmigsten und überzeugendsten, doch auch im klassischen Riffing zeigt sich die Truppe sicherer als viele andere Bands, die genau bei solchen Stellen oft scheitern. Insofern ist „I – The Serpent“ merklich weit entfernt von einem Totalausfall, selbst von belanglosem Mittelmaß hebt sich die Band mit Leichtigkeit ab. Die gelegentliche Eingängigkeit ihrer Melodien und Riffs hilft dem Trio zudem an den entsprechenden Stellen, den in Sachen Atmosphäre und Härte ansonsten eher unspektakulären Songs einen gewissen Wiedererkennungswert zu verleihen, der bei weitem nicht selbstverständlich ist.
Darüber hinaus aber können LIBER NULL nicht wirklich überzeugend vermitteln, was ihre neue Scheibe so besonders macht, dass man sich näher und öfter mit ihr befassen sollte. Neben der eher bescheidenen Produktion, die vor allem durch eine nicht gerade überwältigende Gesangsabmischung und einen nur geringfügig weniger billig klingenden Instrumentalsound eher mäßig begeistert zurücklässt, vermag auch das abgedroschene Albumkonzept, das mal wieder irgendetwas mit Religionskritik zu tun hat, lediglich müde Reaktionen hervorzurufen.
Glücklicherweise zeigt sich die Truppe immerhin im Musikalischen geschickter. Der fetzige Opener kann den Hörer mit seiner markanten Melodie über wilder Raserei sofort für sich gewinnen, bevor „Below And Beyond“ in mardukscher Manier noch einen Schritt weitergeht. „The Heretic‘s Tongue“ dagegen treibt gegen Ende noch mal ordentlich mit diversen groovigen Rock- und Death-Metal-Anleihen, um dem Album einen würdigen Schluss zu bescheren. Im eher gemächlicheren Mittelteil kommt allerdings stellenweise doch etwas Langeweile auf, nicht zuletzt, weil eine in langsameren Teilen merkliche Unsauberkeit bei den eingespielten Instrumenten immer wieder die Aufmerksamkeit für sich beansprucht und sich hier die beiden Stücke mit Songlängen von sechs und neun Minuten doch etwas ziehen.
„I – The Serpent“ ist leider kein Album geworden, das der Black-Metal-Gemeinde in Erinnerung bleiben wird. Die Musik auf dem neuen Werk von LIBER NULL ist gut gemacht und macht auch nach mehrmaligem Hören noch einen absolut grundsoliden Eindruck, aber um wirklich ganz klar herauszustechen, fehlt dann doch etwas die Eigenständigkeit. Schöne Melodien und Riffs machen ein Album zwar gefällig, aber bei einer Musikwelt mit so viel Konkurrenz braucht es schon ein wenig mehr überzeugende Argumente, um immer wieder den Weg in den CD-Spieler zu finden.
Wertung: 6.5 / 10