Live-Alben bieten wie Compilations diverse Angriffspunkte: Stimmt der Sound (früher galt hier „ausnahmsweise“), dann war die Trackliste mies, passte diese auch, dann kam die Stimmung des Konzertes nicht rüber und selbst wenn alles super war, blieb noch die Königin der Gegenargumente. Warum sich eine bunte Zusammenstellung ins Haus holen, wenn man als Fan doch sowieso alle Platten daheim hat.
Diese Frage haben sich LACRIMOSA mittlerweile mindestens dreimal nicht gestellt oder sie hatten die richtigen Antworten parat, denn mit „Live In Mexico City“ ist der dritte Mitschnitt der Düsterrocker erschienen. Angesichts von fast 25 Jahren Bandhistorie, diversen Alben und noch mehr Hits ist das legitim und nachvollziehbar. Jetzt hat es die Truppe also nach Mittelamerika verschlagen, offenbar ist der transatlantische Kontinent ein guter Ort für Live-Mitschnitte, so rockten beispielsweise Iron Maiden in Rio, die legendäre Live-Shit-Veröffentlichung von Metallica muss wohl nicht mit vielen Worten bedacht werden.
Keine Frage, es gibt Gründe für diese Auswahl und einer der wichtigsten wird sehr bald beim Anhören der CD offensichtlich: Das Publikum ist nicht nur ausgesprochen frenetisch, sondern gibt sich auch sehr textsicher. Beinahe jede Nummer wird lautstark mitgesungen, die spärlichen Ansagen gefeiert, immer wieder sind Jubelrufe zu vernehmen. Dies ist insofern bemerkenswert, weil die spanischsprachigen Mexikaner mit den meist deutschen Songs bestens klarkommen, selbst die Strophen werden kräftig intoniert. Eine wahrhaft dankbare Audienz, die der Band einen angemessenen Empfang bereitet.
Der Sound ist für eine Live-Veröffentlichung dem Zeitalter absolut angemessen. Kaum vorstellbar, dass heutzutage nicht im Studio nachgearbeitet wird. Wie er dazu steht, muss jeder für sich beurteilen, der „Spirit“ geht dabei sicher teilweise verloren, aber wer will schon Geld für Rückkopplungen und Rauschgeräusche ausgeben, in denen die Lieder vollends verloren gehen?
Apropos Lieder, die haben wir auf „Live In Mexico City“ ja auch noch. Wer sich ein wenig im Backkatalog von LACRIMOSA auskennt, wird eine vage Vorstellung davon haben, was ihn erwartet. Ein paar Nummern müssen einfach dabei sein, dazu zählen „Alleine zu zweit“, „Not Every Pain Hurts“, „Ich bin der brennende Komet“ und neben dem ewigen „Stolzes Herz“ diverse weitere Highlights. Dabei beschränkt man sich dankenswerterweise nicht auf aktuelles Material, sondern hakt sämtliche Phasen der wechselhaften Karriere ab. Dabei wandelt man wie üblich auf einem papierstärkendünnen Grat zwischen Kunst und Kitsch. Tilo Wolff war sich für Texte, die jegliche Klischees im Fremdschäm-Modus beinhalten, nie zu schade, so fand auch die übelste Zeile den Weg aufs Album „Es ist der Morgen danach und meine Seele liegt brach“.
Nun ja, Pathos wird also reichlich geboten, aber dafür sind LACRIMOSA schließlich seit 1990 bekannt. „Live In Mexico City“ ist keine unsinnige Veröffentlichung, die gelungene, viele Alben umfassende Songauswahl und der angenehme Sound holen eine Gewisse Stimmung in die heimische Stube. Kann man haben, muss man aber nicht, erst recht nicht, wenn man die meisten CDs im Schrank stehen hat.
Wertung: 7 / 10