Tja, das ist mal eine Livescheibe! Aber so richtig! Eigentlich hatte ich mich ja nach dem Kennenlernen von dem King’s X Sideproject “Jelly Jam” so darauf gefreut, mal eine Platte von Ty Tabors Hauptband in die Hände zu bekommen. Nun bin ich doch leicht überrascht, dass der groovende Hardrock der drei Herren aus Texas für mich als Progrocker so schwer zu verdauen ist.
Was wir hier hören wiederspricht nämlich dem “Perfektheitsdenken” der Progmusiker & -Hörer. In jenem Genre muss normalerweise jeder Ton perfekt sitzen und hat seinen Sinn, da wird, wenn es nötig erscheint auch mal ein bisschen im Studio der Livemitschnitt, der unter die Leute geworfen werden soll, aufpoliert. Nicht so aber bei King’s X: Auf ihrem ersten Livealbum in 15 Jahren Bandgeschichte serviert uns die Gruppe gleich das volle Brett: 25 Songs auf zwei randvoll gefüllten Scheibletten mit ca. 2 ¼ Stunden Musik. Viel wichtiger ist jedoch, dass sämtliche hier enthaltene Aufnahmen nicht in geringster Form “overdubed” wurden. Man hat die rohe, unbearbeitete Liveperformance 1:1 auf CD gebannt. Und gerade das macht die Sache so schwierig. Die Jungs rocken so wüst und rau drauflos, dass man, falls man die Studioalben nicht kennt, durchaus leichte Startschwierigkeiten damit haben kann. Denn neben einem langen Akustikpart auf der 2.CD findet man ebenso einige voller Spielfreude hell strahlende, aber wilde Instrumentalpassagen, in denen die tolle Stimmung im Konzertsaal zwar direkt nach Hause transportiert wird, die dem Hörer aber auch einiges an Toleranz und Ausdauer für solche Jams abverlangen. Ich kenne bisher keine Liveplatte mit vergleichbarer Atmosphäre und einer für Hardrock so großen Stilvielfalt. Denn King’s X schaffen es trotz allem noch, in ihren Songs alle Arten von Gefühlen, über Nachdenklichkeit, Hoffnung bis Aggression, zum Ausdruck zu bringen.
Die aufkommende Authentizität des Werkes wird jedoch durch die Tatsache, dass hier mehrere Mitschnitte zu einem Album zusammengeschnitten wurden, etwas geschmälert. Zwar sind die Übergänge zwischen den einzelnen Aufnahmen, die auch aus den verschiedensten Bandphasen stammen, nicht allzu ruppig ausgefallen; auffallen und leicht stören tun sie aber auf jeden Fall.
Letzten Endes dürfte dies dem King’s X-Fan jedoch nicht wirklich etwas ausmachen, denn nach sieben Studiowerken scheint der Zeitpunkt für eine Live-Veröffentlichung gekommen und äußerst passend. Außerdem wird er, so denke ich, gerade jenen rohen und knüppeltrockenen Sound auf „Live All Over The Place“ lieben und hören wollen.
So sollte höchstens einschränkend erwähnt werden, dass man als King’s X-Neuling sich vielleicht zunächst eine der Studioplatten anschafft, bevor man sich auf diese gehörig erdigen, groovigen 2 ¼ Stunden einlässt.
Ansonsten spreche ich für dieses „echte“ Livealbum eine absolute Kaufempfehlung aus!
Keine Wertung