Zum Glück ist die Philosophie „Die Band steht und fällt mit jedem einzelnen Mitglied“ nicht universaler Natur und war auch nicht auf KING CRIMSON zutreffend. Aufgrund von unterschiedlichen Ansichten zur musikalischen Zukunft der Band stand man nämlich vor der Frage, ob Robert Fripp gehen muss oder Ian MacDonald und Michael Giles. Letzteres trat ein und ob dieser Ausgang der grössere Glücksfall war muss jeder für sich entscheiden. Immerhin liess sich Giles noch dazu überreden auf „In The Wake Of Poseidon“ ein weiteres Mal das Schlagzeug einzuspielen. Doch natürlich muss man den Verlust von MacDonald auch erst einmal kompensieren und so stellt das zweite Album der Briten eine Art Neuanfang, aber auch Ausblick auf Kommendes dar. Der Vorwurf „In The Wake Of Poseidon“ wäre die schlechtere Kopie des Debüts ist daher zwar schon nachvollziehbar, aber gleichzeitig auch bei Weitem nicht so negativ wie es manche Kritiker gerne hätten.
Befassen wir uns doch zunächst einmal mit den klaren Parallelen zum Vorgänger: Nach dem musikalisch entbehrlichen Intro – was auch für das Interlude und Outro zutrifft – ist „Pictures Of A City including 42nd At Treadmill“ der erste richtige Song und bedient sich schon mit den ersten Tönen am eigenen Fundus, der da lautet „21st Century Schizoid Man“. Ein etwas träges Saxophon dominiert und an Spielfreude von Michael Giles mangelt es auch nicht. Der Gesang bleibt dieses Mal unverzerrt, gefällt mir aber auch ungeachtet dessen nicht so gut wie zuvor, auch wenn Greg Lake natürlich trotzdem keine schlechte Leistung abliefert. So langsam nimmt das gesamte Spiel Fahrt auf und wird so hektisch wie wir es bereits kennen, bricht jedoch nach etwas mehr als der Hälfte des Stückes abrupt ab und bis auf Bass und Schlagzeug wird es ruhig. Schleichend taucht die Gitarre wieder auf und nach der Wiederholung des Refrains gibt es nochmal kurz die Eskalation aller Instrumente, allerdings nicht so in die Länge gezogen wie beim Schizoid Man.
Nun, durch den Aufbau und das Saxophon-Spiel ist es natürlich mehr als offensichtlich was hier Vorbild stand. Schmälern tut dies jedoch nur den Originalitäts-Faktor, nicht jedoch die Qualität des Songs, auch wenn das Original der grössere Hit bleibt. Gerade im schnellen Teil ist man wieder begeistert ob des Zusammenspiels der Instrumente und im ruhigen Teil kann man sich nochmal an Giles‘ Schlagzeugspiel ergötzen – was schon alleine Grund genug ist um „In The Wake Of Poseidon“ Existenzberechtigung zu geben.
So ähnlich sieht das dann auch beim Titelstück aus, wobei man hier eher die Schnittmenge aus „Epitaph“ und „The Court Of The Crimson King“ geboten bekommt. Im Klartext heisst das, dass das Mellotron häufig zum Einsatz kommt und auch die Gesangslinien denen von „Epitatph“ ähneln, ohne jedoch auf emotionaler Ebene mithalten zu können, was aufgrund der nicht ganz so majestätisch ruhigen Ausrichtung durch viel präsenteres und verspieltes Schlagzeug-, wie auch Gitarrenspiel liegt. Ein Choreinsatz darf zum Schluss natürlich auch nicht fehlen.
Dass es sich hierbei aber eben nicht um eine Eins-zu-Eins-Kopie des Meilensteins im Progressive Rock handelt beweist dann zuerst richtig deutlich „Cat Food“, eine Vorausschau auf den Nachfolger „Lizard“, allerdings noch nicht ganz so ekzentrisch wie z.Bsp. dessen Song „Happy Family“. Hier darf sich dann auch Keith Tippett als neuer Pianist so richtig einbringen mit seinen jazzigen Stakkato-Einwürfen. Ein Querverweis auf die Beatles ist wohl angemessen, nicht zuletzt durch den coolen Auftritt Lake’s am Mikrophon. Die zweite Hälfte des Fünfminüters wird dann rein instrumental gestaltet und wird auch rechtzeitig vorm Einschlafen abgebrochen.
Zu guter Letzt kommt dann das Stück, welches wohl am Ehesten der vergleichbaren Nummer auf dem Debüt vorgezogen wird. „The Devil’s Triangle“ ist zwar eh nur deshalb mit „Moonchild“ zu vergleichen, weil es ein langes – in diesem Fall sogar reines – Instrumentalstück ist, aber so oder so sind die 11 1/2 Minuten einfach gut ausgenutzt und gefüllt. Man muss sich zwar zunächst in Geduld üben, bis langsam das marschartige, monotone Schlagzeug hörbar wird und fast konstant durch das ganze Stück gehalten wird. Mellotron und Klavier sorgen darüber für eine unberuhigende, bedrohliche Stimmung, der Spannungsbogen hält sich ca. 7 Minuten und wird dann durch befremdliches, aber relativ kontrolliertes Chaos im Schlussakt abgelöst, bei dem auch das Schlagzeug dann macht wie es will. Ich muss ehrlich zugeben, dass ich die Instrumentalstücke von KING CRIMSON sonst eher unberührt hinnehme, aber dieses hier hat durch seinen überschaubaren, aber effektiven Stimmungsaufbau für mich durchaus einen Wert.
Im Endeffekt stellt sich die Frage ob es oder man dieses Werk braucht doch gar nicht wirklich. Man stelle sich mal vor Ulver (um mal ein modernes Beispiel zu bringen) würde der Vorwurf gemacht werden, dass sie nach „Bergtatt“ nicht gleich mit elektronischer Musik weitergemacht haben! Natürlich ist das Debüt aufgrund der Originalität höherwertig als der Nachfolger, aber deswegen kann man doch trotzdem objektiv auf die hier erbrachte Leistung schauen und feststellen, dass „In The Wake Of Poseidon“ einfach ein gutes – zugegebenermaßen nicht überragendes – Werk im Progressive-Rock-Bereich ist. Und meine Güte, wenn man sich anschaut, dass KING CRIMSON was die Spielzeit anbelangt meist kaum die 45 Minuten erreichen, dann darf man doch froh sein noch mehr von für gut befundenem Material zu bekommen. Essentiell ist dieses Album also nicht, falsch machen kann man als „In The Court Of The Crimson King“-Anhänger mit einem Kauf aber ebenfalls nichts.
Keine Wertung