Review Katatonia – Dead Air

Das Corona-Virus hat die zuvor florierende Live-Kultur bekanntermaßen von jetzt auf gleich auf Eis gelegt. Nach ein paar Monaten des absoluten Stillstands mussten sich Fans wie Bands dann an immer neue Live-Konzepte gewöhnen: Abstandskonzerte, Autokonzerte und natürlich Streamshows. In der Folge ist nun ein bisher eher selten bemühtes Release-Format im Kommen: das „Live-aus-dem-Studio-Album“. Aus Sicht von Bands und Labels ist es ein logischer nächster Schritt, die mit hohem technischem Aufwand gestreamten Shows in physischen Formaten herauszubringen und so (nochmal) zu monetarisieren. Doch zumindest aus Fan-Sicht ist das Studio-Live-Album nicht unbedingt ein Kandidat für die (ohnehin sehr kurze) Liste positiver Pandemie-Folgen. Warum, macht KATATONIAS „Dead Air“ als eine der ersten Veröffentlichungen dieser Art deutlich.

Live-Shows für ein digital zugeschaltetes Publikum leiden, das mussten wir alle im letzten Jahr feststellen, oft unter absoluter Nicht-Atmosphäre – bedingt durch peinliche Stille zwischen den Songs und mit dem Konzept fremdelnde Musiker. Nicht grundlos wurden die Locations, aus denen gestreamt wurde, über das Jahr hinweg immer spektakulärer und Bands streamten vermehrt aus Feld und Flur. KATATONIA hingegen haben mit dem Studio Grondahl, Stockholm, einen sehr konventionellen Ort für die Übertragung gewählt. Das machte den Stream nicht sonderlich „besonders“ und bietet entsprechend auch auf DVD wenig optische Anreize.

Als „Live-Album“ auf zwei CDs gepresst wird das nicht gerade besser: Die in die gespenstische Stille zwischen den Songs gesprochenen, knappen Ansagen von Jonas Renkse („Thank you“, „Yes“) wirken wie Recording-Artefakte, die der Produzent versehentlich nicht gelöscht hat. Dass Renkse sich über den noch laufenden Track „Tonight’s Music“ für fehlende Tightness entschuldigt („Sorry about the Interlude – we’re back on track, I believe“) oder sich später auf eine frühere, auf CD fehlende Ansage bezieht, lässt das Ganze nicht eben hochwertiger wirken – wie übrigens auch der eine oder andere Tonfehler in der Aufnahme (etwa ein Knackser bei 0:26 min in „Forsaker“).

Generell hat Jonas Renkse für die Show nicht seinen besten Tag erwischt: Im pseudo-perfekten „Studio-Sound“ liegt er immer wieder hörbar neben dem Ton. Das Livespiel mit Klicktrack und unzähligen Samples gewöhnt, liefert die restliche Band dazu eine saubere, aber eben auch unspektakuläre Performance ab: professionell, aber frei von jedem Zauber. Am ehesten kann man „Dead Air“ deswegen – ähnlich dem Studio-Live-Album von Gorgoroth („True Norwegian Black Metal – Live in Grieghallen“, 2008) als ein im Kollektiv „live“ eingespieltes Best-of-Album sehen.

Das hat insofern seinen Reiz, als es einer Neuaufnahme der (wenigen) alten Songs wie „Teargas“ oder „Omerta“ im Sound der letzten Alben so nahe kommt wie keine Live-Aufnahme mit Publikum das könnte. Um darin einen Sinn zu sehen, muss man jedoch gleichzeitig eingefleischter Fan und dem über die Jahre vollzogenen stilistischen Wandel der Band gegenüber aufgeschlossen sein. Andererseits stammen die ältesten dargebotenen Songs von „Last Fair Deal Gone Down“ (2001). Beim neueren bis neuesten Material (einschließlich der drei Songs vom neuen Album „City Burials“) hält sich der Aha-Effekt naturgemäß in Grenzen.

„Dead Air“ ist ein Live-Album für Menschen, die keine Live-Alben mögen: Ja, hier performt eine Band – aber ohne Publikumsgeräusche, (richtige) Ansagen und die unnachahmliche Dynamik eines Konzerts vor Fans. Stream-Shows werden zwar „live“ übertragen – aber sie sind eben nicht „live“. Dass der Mitschnitt (zumindest in der Audio-Version) damit kaum mehr ist als eine blasse Werkschau, ist also weniger der Performance als den Umständen geschuldet. Vielleicht funktioniert „Dead Air“ auf diesem Level: als Zeitdokument dieser – nicht nur, aber insbesondere die Live-Kultur betreffend – trostlosen Monate.

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Wertung: 6.5 / 10

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