Review Kansas – The Absence Of Presence

Als KANSAS sich 2016 mit der ersten Platte nach 16 Jahren zurückgemeldet haben, war das eine kleine Sensation – zumal „The Prelude Implicit“ wirklich gut unterhält. 2017 folgte das Livealbum „Leftoverture Live & Beyond“, ein Zeugnis von neuer Vitalität und Energie. Mit Sänger Ronnie Platt und Gitarrist Zak Rizvi haben sich die Prog-Urgesteine eine Frischzellenkur verpasst, die hör- und spürbar ist. Der ebenfalls erst vor wenigen Jahren hinzugekommene Keyboarder David Manion hat die Band inzwischen zwar wieder verlassen – mit Tom Brislin konnten KANSAS aber nicht nur einen starken Ersatz, sondern auch einen weiteren begabten Songwriter für sich gewinnen.

Aus einer Band, die jahrelang ein Erbe verwaltet hat, ist wieder eine aktive, kreative Combo geworden. Die neue Platte untermauert das eindrucksvoll. Im direkten Vergleich mit dem letzten Werk klingt „The Absense Of Presence“ progressiver und leistet sich keine Durchhänger.
Der über achtminütige Opener und Titeltrack ist das Highlight der CD. Ein opulentes, vielseitiges Epos, das problemlos an Klassiker wie „Icarus I/II“ anschließen kann. Mit „Throwing Mountains“, „Jets Overhead“ und der instrumentalen Achterbahnfahrt „Propulsion 1“ geht es stark weiter. KANSAS schaffen es, die Spannung über die gesamten 47 Minuten aufrechtzuerhalten. Ihre Kombination aus vertrackten, virtuosen Instrumentalpassagen und melodisch-pathetischem Gesang funktioniert hier so gut wie schon lange nicht mehr. Klar, besonders experimentierfreudig zeigen die Herren sich nicht. Es geht vor allem um Fanbedienung.

„The Absence Of Presence“ gelingt die Verbindung zweier KANSAS-Welten: den progressiven Anfängen und der von Melodic Rock geprägten späteren Phase. Die Scheibe schließt insofern an das 2000er Album „Somewhere To Elsewhere“ an. Im direkten Vergleich damit ist sie sogar noch konsistenter, präsenter, zwingender. Setzt man die Prog-Brille auf, kann man vielleicht sogar attestieren: So gut klangen die Amerikaner schon seit „Monolith“ nicht mehr. Und das war immerhin 1979. Ein größeres Lob kann man einer Gruppe, die schon über 45 Jahre im Geschäft ist, kaum machen.

Einen Unterschied gibt es aber doch zu den guten alten Zeiten. Auch wenn es der Band ohne ihre stilprägenden Songwriter Kerry Livgren und Steve Walsh sehr gut gelingt, nach KANSAS zu klingen – es fehlt ein wenig an Herz und Authentizität. Das ist nicht schlimm und liegt auch in der Natur der Sache: Kerry Livgren hat die besten KANSAS-Nummern in seinen jungen Jahren geschrieben, angetrieben von einer frisch entdeckten Spiritualität, die er in jede Note seiner Musik presste; Steve Walsh war sein Gegenpol. Ein energetischer, extrovertierter Frontmann mit einer magischen Präsenz, der die Musik mit jeder Zelle seines Körpers lebte und zelebrierte. Wer das nicht glaubt, schaue sich alte Konzertmitschnitte aus den Siebzigern und Achtzigern an.
Dass diese sehr intensiven Gefühle und Erfahrungen sich anno 2020 in der Musik nicht mehr widerspiegeln, kann man der Band nicht zum Vorwurf machen. Das Songwriting auf „The Absence Of Presence“ ist keineswegs altersmilde. Große Gesten und Opulenz sind allerdings ein elementarer Bestandteil von KANSAS, und zwischen den Noten spürt man eben doch, ob die Musik tief aus dem eigenen Herzen und Erleben kommt, sie echte Emotionen vertont – oder nur so klingen soll. Nichtsdestotrotz ist „The Absence Of Presence“ ein starkes Statement einer Band, die noch lange keine Lust auf Rente hat. Hoffen wir, dass auch jüngere Musikfans KANSAS damit für sich entdecken. Klasse!

YouTube

Mit dem Laden des Videos akzeptieren Sie die Datenschutzerklärung von YouTube.
Mehr erfahren

Video laden

Wertung: 8.5 / 10

Publiziert am von

2 Kommentare zu “Kansas – The Absence Of Presence

  1. Dem kan ich so folgen. Musiklaisch.

    Mit dem Album kommt die Band wieder fast bei den Wurzeln an, wobei ich da unterscheide zwischen Musik und Texten. Die Texte der frühen Alben waren verständlicher (liegt es an mir) konkreter als die eben von Absence of Presence. Etwa der Titel „Death Of Nature Suite“ des ersten Albums (1974) war glockenklar. Hnter „Absence as Presence!“ steckt an sich eine komplexe Philosophie und ich weis nicht, was will mir die Band damit sagen, falls sie damit wirklich etwas sagen will.

    1. Hallo Volker,

      vielen Dank für Deinen Kommentar. Von Drummer Phil Ehart habe ich zum Albumtitel die Aussage gelesen, dass „The Absence Of Presence“ dafür steht, dass viele Menschen heute zwar körperlich anwesend sind, aber geistig und mental oft abgelenkt oder abwesend erscheinen. Ihm war das wohl mal am Flughafen aufgefallen, wo sich viele Menschen auf engsten Raum tummeln, aber die meisten dann doch nur hektisch von A nach B bewegen oder auf Ihr Flugzeug wartend in Smartphone oder Laptop starren. Im Text zu dem gleichnamigen Song heißt es ja auch „The absence of presence fills the air, I know you’re here but you’re not really there“.

      Viele Grüße
      Sebastian

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert