Review Kanonenfieber – Die Urkatastrophe

Im Bereich des extremen Metal gibt es – im deutschsprachigen Raum, aber auch darüber hinaus – momentan wohl kaum eine Band, die heißer gehandelt wird als KANONENFIEBER. 2021 konnte das Debüt „Menschenmühle“ mit einem durchaus spannenden Konzept begeistern, indem die den Ersten Weltkrieg behandelnden Texte komplett aus Tatsachenberichten, Feldpost und ähnlichen Dokumenten zusammengestellt wurden. Das, kombiniert mit einer entsprechenden Bühnenästhetik beziehungsweise -kostümierung, und sicher auch der Fakt, dass die Musiker hinter dem Projekt nach wie vor anonym sind, mündeten in einem erstaunlich großen Interesse an KANONENFIEBER.

2022 folgten mit „Yankee-Divison“ und „Der Füsilier“ gleich zwei EPs, die den Fans insgesamt vier Songs brachten: Bereits so früh in der Karriere überraschend „bandtypisch“, was aber leider auch schon erste Abnutzungserscheinungen im sehr konsequent durchgezogenen Konzept mit sich brachte. Doch KANONENFIEBER blieben damit im Fokus der Öffentlichkeit, wozu obendrein noch das Livealbum „Live At Dark Easter Metal Meeting“ (2023) beitrug. Und so verging quasi nebenbei exakt die Zeit, die auch der thematisch maßgebliche Erste Weltkrieg anhielt, ehe KANONENFIEBER nun mit „Die Urkatastrophe“ ihr zweites Album vorlegen.

Dass schon der Titel der Platte absolut „on brand“ ist, überrascht nicht weiter. Und auch das Cover – erneut ganz klar im Stil und Farbschema der Band gehalten – garantiert 100%igen Wiedererkennungswert. Neu dagegen ist der Sound, der den Hörer sofort nach dem Intro praktisch aus den Boxen anspringt. So fett und klar produziert klangen KANONENFIEBER noch nie. Der Blick in die Credits erklärt’s: Waren die bisherigen drei Releases Eigenproduktionen von Bandkopf Noise, stammt die Produktion diesmal aus dem renommierten Kohlekeller Studio von Kristian Kohlmannslehner.

Das Hochleveln in diesem Bereich passt einerseits zur zuletzt massiv aufgebohrten Bühnenshow, zum anderen spiegelt es aber auch das Interesse wider, das der Band in den letzten Jahren zuteilwurde. Denn wo viele Leute hinhören, will man die Erwartungen natürlich auch bedienen. Dass dabei der Black-Metal-Sound über Bord ging und durch einen zeitgemäßen – sprich gerade sehr beliebten – Melo-Death-Metalcore-Klang ersetzt wurde, ist hinsichtlich der Studiowahl keine Überraschung, schließlich hat sich Kohle mit ebensolchen druckvollen Produktionen – von Aborted bis Powerwolf – einen Namen gemacht. Und auch im Hinblick auf dieses Album ist es nur konsequent.

Denn tatsächlich passt der Sound perfekt zu den Songs auf „Die Urkatastrophe“: Wenn „Sturmtrupp“ losbricht, geht einem nur ein Bandname durch den Kopf – Heaven Shall Burn. Bei „Liv zu Lemberg“ wiederum könnte man meinen, der Songanfang sei von Amon Amarth geschrieben worden. Oder eben von ebenjenen abgekupfert. Nun soll der Truppe hier nichts unterstellt werden; die großen Melodiebögen und ruhigen Parts, die die Band auf „Die Urkatastrophe“ immer wieder einbaut, um danach mit einem druckvollen Part zurückzukommen (der selbstredend weiterhin von einer feinen Melodie getragen wird) erinnern aber schon sehr konsequent an jene Bands, die man auf dem Wacken oder Summer Breeze in den obersten Regionen des Flyers findet.

Dazu passen auch die Refrains auf der Platte, die klar darauf abzielen, auf Konzerten oder eben Festivals von vielen Leuten mitgesungen zu werden. Exemplarisch sei auf „Waffenbrüder“ (Wir, wir waren Waffenbrüder / Freunde auf Lebenszeit / Wir, wir waren Waffenbrüder / nichts das uns entzweit) mit seiner fast schmalzigen Gemeinschaftsbeschwörung oder „Der Maulwurf“ (Graben und weiter graben / Mit meinem Spaten / Der Maulwurf sieht kein Licht / Graben und weiter graben / Stets unter Tage / Bis der Stollen endlich einbricht) mit seinem „Moorsoldaten“-Vibe verwiesen. Dass das Ganze dann noch mit zum Teil schlimmen Schunkel-Melodien unterlegt wird, rückt KANONENFIEBER massiv in Richtung Sabaton, also gemütliches Feiern und Saufen zu Kriegsthematik.

Was ist nun mit „Die Urkatastrophe“ – alles Mist? Sicher nicht. Für sich genommen bedient die zweite Platte von KANONENFIEBER konsequent den Zeitgeist. Und das sowohl musikalisch als auch in puncto Band mit Konzept, wobei letzteres – wie so oft, so auch hier – so langsam zum Gimmick zu verkommen droht. Mit dem nicht zu verleugnenden Einschwenken auf einen Metal-Mainstream-affinen Sound verlieren KANONENFIEBER jedenfalls zweifellos etwas von dem, was sie besonders machte – schaden dürfte das KANONENFIEBER zumindest kurzfristig aber kaum.

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Wertung: 6.5 / 10

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9 Kommentare zu “Kanonenfieber – Die Urkatastrophe

  1. Ich mache es ganz kurz, mir gefällt das neue Album sehr gut.

    Das eine Band sich weiterentwickelt ist ja nun logisch und ich würde das nicht negativ bewerten. Am Ende, man muss es so sagen, verdienen sie damit Geld und da macht es ja irgendwie auch Sinn das man sich da in die Richtung entwickelt in der man möglicherweise mehr Erfolg hat.

  2. Triggert iwie nur Leute, die auch kein Problem haben mit ’ner Reichsfahne auf „Montagsspaziergang gegen die Coronadiktatur“ zu gehen.
    („Ist musikalisch doch nur historische Beobachtung…hö hö hö.“ – Hört sonst gern NSBM…)

    Ist bei den angesprochenen Eisregen, Sabaton, Amon Amarth usw. auch immer die gewisse Fan-Schnittmenge.
    Leider.
    Auch wenn die Bands das (evtl) nicht wollen.
    Schwierig mMn.

    Bewertung der Platte (musikalisch) meinerseits: Ja, nee, lass mal. Ist mir zu krude in jeglicher Hinsicht. Kann ich nix mit anfangen. Fühl ich nix bei.

    1. Bis Ende der Klammer is das schon ne sehr engstirnige Verunglimpfung. Das ist vom verallgemeinernden, exkludierenden Weltverständnis her in etwa genauso schlimm wie die, denen der Vorwurf gilt.
      Wenn man musikalisch nichts damit anfangen kann: gerne, geschenkt. Über jede Realität hinweg sich seine Fanlager-Antiperspektive zu konstruieren hat dann schon ein Reichsbürger-Mindset.
      Gerne weniger davon!

      1. Ich bin zwar auch der Ansicht, dass Bobzilla ein bisschen übers Ziel hinausgeschossen ist, deine Gleichsetzung ihrer Polemik gegen bestimmte Metalfans mit Reichsbürgern und NSBM-Anhängern (inklusive deren rassistischen und antisemitischen Gaskammerfantasien) ist aber eine grobe Relativierung und Verharmlosung letztgenannter Gruppen.

        Eine Schnittmenge zwischen Eisregenfans und Nationalisten festzustellen ist nicht „in etwa genauso schlimm“ wie alle, die nicht weiß genug sind, nach Nordafrika deportieren zu wollen. Dafür braucht’s nochmal ein anderes „Weltverständnis“, um deine Vokabeln zu bemühen.

        1. Auch wenn Metal1.Info es nicht so gern hat, wenn sich Kommentare verselbstständigen, aber ich möchte schon erklären, wie ich darauf komme und meine Behauptung/den Vergleich auch für sinnig erachte. Vielleicht liege ich ja falsch und jemand kann es mir erklären; würde mich weiterbringen!
          „Trigger iwie (irgendwie?) nur Leute“. „NUR“ heißt meines Erachtens so viel wie „ausschließlich“, „keine anderen“. Das „irgendwie“ ist geschenkt, soll wohl Erstaunen über die Tatsachenfeststellung des Autors wiedergeben. Damit sind ALLE Kanonenfieberfans als „Reichsfahnenträger“ oder „Sonst gern NSBM-Hörer“ kategorisiert.

          „Eisregen, Sabaton, Amon Amarth usw. auch immer die gewisse Fan-Schnittmenge“. Ich frage mich ehrlich, was diese Gruppen gemeinsam haben? Sie spielen Metal und haben Fans. „USW“ heißt, dass es eigentlich alle Bands sind, die dieses Merkmal – das ich nicht genauer bestimmen kann, weder musikalisch noch textlich – haben. Das „gewisse“ verweist doch wieder auf die schon bei Kanonenfieber aufgezeigte Fanschar, hier als Schnittmenge alle dieser Bands erfasst.

          In dieser alle über einen Kamm scherenden Kategorisierung – ein gutes Ich (hört ja sowas nicht) vs. böse Fans derer – ist Bobzilla nicht besser als die, die sich als gute Weiße oder einzig wahre Reichsbürger erfassen und alle anderen abqualifizieren. Ich finde es als nicht übers Ziel hinausgeschossen, sondern eben grob diskriminierend.

          1. Nee, wir verstehen Bobzillas Kommentar schon gleich. Siehe mein „über’s Ziel hinausgeschossen“. Auch wenn du die Semantik hier sehr streng zu ihren Ungunsten auslegst. Aber geschenkt. Das war gar nicht mein Punkt.

            Denn selbst wenn sie ihr Argument mit einem „alle Metalfans sind Nazis“ auf Spitze des Unfugs getrieben hätte, wäre das nicht genauso schlimm oder menschverachtend wie die von dir relativierten Ideologien; aus Bobzillas Aussage folgt, dass sie bei einem Kanonenfieber-Album die Nase rümpft, aus der Ideologie des Reichsbürger-/NSBM-Gemenges, dass man Tausende, evtl. Millionen Menschen deportiert und gegebenenfalls tötet. Beide Dinge sind nicht das gleiche und gehören nicht verglichen.

            Denn genau in der Konsequenz liegt der Unterschied zwischen Bobzillas „abqualifizieren“ und dem „abqualifizieren“, das (Neo-)Nazis betreiben; und damit die Gefahr, die von einer rhetorischen Gleichsetzung beider Gruppen ausgeht. In einem Punkt hast du nämlich völlig recht: Wir brauchen im öffentlichen Diskurs mehr Differenzierung und weniger Schwarz-Weiß-Denken, um die tatsächliche Gefahr, die von der neuen Rechten ausgeht, auch wirklich in ihrem Verhältnis zu begreifen und benennen zu können.

            Verkürzte Argumente wie „du bist ja so wie die Nazis!1“ schaden diesem Anliegen und helfen langfristig denen, die sich dann hinter diesen Verkürzungen verstecken können. Das Ergebnis dieser Diskursverschiebung sehen wir jedes Mal, wenn antidemokratischer Demagoge behauptet, er würde von Antifaschist_Innen unterdrückt werden. Das ist mein Beef mit deinem Kommentar, es hätte nämlich tausend bessere Möglichkeiten gegeben, Bobzillas Pauschalisierung zu kontern.

  3. Also ich stehe Kanonenfieber etwas zwiespältig gegenüber. Finde auf der einen Seite Authentizität und den No-War-Aspekt des Inhalts sehr gut und als jemand, der sich für (Militär-)Geschichte interessiert UND gerne Black/Death hört, scheint es eine perfekte Band zu sein … allerdings sehe ich auch hier Probleme. Ich war vor etwas mehr als einem Jahr auf einem Konzert und empfand das „Feiern“ der Band und der Texte etwas merkwürdig. Zusammen mit hunderten Menschen da zu stehen und den „Füsilier“ mitzubrüllen … ja, da ist Atmosphäre aber es hat einen bitteren Nachgeschmack. Musikalisch ist das, was von der URKATASTROPHE“ bereits zu hören war, in Ordnung. „Menschenmühle“ ballert, aber irgendwie wechsle ich immer wieder zu den ukrainischen Kollegen von 1914, weil mir da einfach noch weniger Feierstimmung aufkommt oder zu Minenwerfer, bei denen es einfach weniger Mummenschanz und Theater gibt. Ein zitternder Sänger auf der Bühne macht die Gräul des WW1 auch nicht realer, sondern wird eher bejubelt ob der Performance. Ich gönne es Noise, werde meinen Kanonenfieberpatch auch nicht von der Kutte kratzen, aber als quasi Fan der ersten Stunden entferne ich mich leider langsam aber sicher ein Stückchen … ist natürlich alles subjektiv und so, jemensch soll es toll finden, wenns gefällt.

  4. Vorneweg: Ich mag es, wie viel Mühe ihr euch generell für eure Reviews gebt, deshalb lese ich sogar solche, bei denen mich die Band quasi nicht interessiert. Hier ist das nun anders, denn diese Band interessiert mich sehr und ich möchte ein paar Sachen bemerken, quasi ein bisschen das Review der Review schreiben.
    Ich find es es ganz wichtig, dass noch die EP „U-Bootsmann“ angemerkt wird, denn diese zeigt am klarsten den Sprung von Menschenmühle nach Urkatastrophe. Da kann einen dann eigentlich nichts mehr, eben auch der Sound, wirklich überraschen, selbst wenn er zugegeben nochmals klarer wird. Ich glaube übrigens nicht, dass das ein Fanservice ist, Noise also einfach Erwartungen erfüllen will, sondern der Sound einfach zur Musik passend gehalten wird gemäß den sich auftuenden, neuen Möglichkeiten (Label, Erfolg), dass da natürlich auch momentane Moden ins Spiel kommen, tut dem keinen Abbruch. Mit dem „nur konsequent“ gehe ich also absolut mit.
    Dann wird wieder das Fass aufgemacht, dass es hier epigonenhaft zugehe, weil man klasse Melodien und abwechslungsreiches Songwriting am Start hat. Nun, so ganz neu erfinden sich die allerwenigsten. War grad noch von den „feinen Melodien“ die Rede, werden es nun in Abhängigkeit zu Mitsing-Refrains „schlimme Schunkel-Melodien“. Wie damals schon die Soldaten gemeinsam gesungen haben – trotz des Leids, das sie erlebten – singen nun das Publikum und Kanonenfieber zusammen. Korrekt ist der Hinweis auf den „Moorsoldaten-Vibe“, falsch ist meines Erachtens, diesen abermals als Anbiederung oder Saufthematik zu sehen. Ein Lied von Kanonenfieber mitzusingen folgt, wenn man es bewusst macht, einer anderen Schlagseite als Sabaton oder Amon Amarth.
    Beim zweiten Album bereits davon zu sprechen, dass das Konzept als Gimmick zu verkommen droht, finde ich unpassend, denn man muss ihnen schon Zeit geben, zum sich Entwickeln, selbst wenn die Cover einen Wiedererkennungswert haben, als gäbe es die Gruppe schon 20 Jahre. Normalerweise gesteht man hier schon drei oder vier Alben zu, ehe man von Obsoleszenz spricht.
    Und dann darf der Verweis – bei zwei Alben – auf die gute alte Zeit natürlich nicht fehlen, in der noch mehr Trueness da war, weniger Anpassung. Wir sprechen hier vom eigenproduzierten Debut als Referenz!
    Ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, als kämpft der Rezensent gegen den inneren Schweinehund, hier ein Album zu bewerten, das ihm gefällt, er aber aufgrund einer gewissen Anti-Mainstream-Attitüde nicht gut finden will (s. Widersprüche oben).
    Gehen wir doch mit der Band und messen sie nicht am ersten Eigenregie-Album oder der Referenz zu Genregrößen (irgendeine Referenz auf die eine, wie die andere Seite gibt es immer; man könnte die Melodiebögen auch so erhaben wie die von Havamal oder Brymir darstellen…) kaputt. Macht die Musik Bock? Klares Ja! Die Vision ist noch tragfähig? Jo.

    1. Bin hier komplett bei dir. „Abnutzungserscheinungen“ beim zweiten Album bzw. schon bei den EPs zwischen den Alben einzuwerfen, halte ich für maßlos übertrieben. Vor allem, wenn die Musik zwar in die gleiche Richtung geht, aber sich ja offenbar doch deutlich in Melodiebögen, Refrains und Mainstreamtauglichkeit anders gibt.
      Finde das Album nach dem ersten Durchgang auch sehr gut, macht einfach extrem Bock.

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