Review Kamelot – Silverthorn

KAMELOT sind eines der Aushängeschilder des kreativen Melodic Metals. Dass sie sich dabei von Genregrenzen nicht einschränken lassen, ist ebenfalls bekannt. Und obwohl mir all dies klar war und ich persönlich ein großer Fan der Band bin, hatte ich doch anfangs meine Schwierigkeiten mit ihrem neuen Album „Silverthorn“. Dies ist ein nur zu bekanntes Problem: Gerade überzeugte Fans tun sich mit neuen Alben „ihrer“ Band häufig schwer – insbesondere wenn vorher das Line-Up verändert wurde.

Der neue Sänger ist allerdings, um das von vornherein klar zu machen, gar nicht das Problem. KAMELOT hatten sich bereits im letzten Jahr von ihrem langjährigen Sänger Roy Khan getrennt, der seitdem innerhalb der Szene nicht mehr in Erscheinung getreten ist – ein echter Verlust, gehörte er doch sowohl zu den überzeugendsten Studiosängern im Melodic/Power/Symphonic-Bereich, als auch zu den charismatischsten und sympathischsten Rampensäuen, die Livemusik gemacht haben. Hier kann man nur hoffen, dass er irgendwann wieder auftaucht.
KAMELOT haben jedoch mit Tommy Karevik einen würdigen Ersatz gefunden, der noch dazu die Stimmlage von Khan hervorragend trifft. Man mag kritisieren, dass er nicht ganz an Khans Stimmvolumen und müheloses Wechseln in den Tonlagen herankommt, aber insgesamt ist seine Performance auf „Silverthorn“ sehr überzeugend und der Band wie seines Vorgängers würdig. Irritierend ist eher, dass ihm anscheinend nur wenig Freiraum zugestanden wurde: Er singt in ganz ähnlichen Lagen wie Khan. Es wirkt ganz so, als ob die Band trotz aller Beteuerungen tatsächlich einen passgenauen Ersatz gesucht hat und keinen eigenständigen Sänger. Dieser Eindruck wird noch dadurch verstärkt, dass der gute Tommy offenbar bei Liveauftritten und Promofotos die Garderobe von Khan auftragen muss und sich zudem bei der Bartwahl an seinen großen Vorgänger anlehnen wollte (oder sollte). Nun ja. Ob das nötig war?

Ein echtes Problem ist das natürlich nicht. Die anfängliche Befremdung beim Hören der CD stammt daher auch nicht vom Gesang, sondern von der Musik, an der Karevik keinerlei Anteil hatte. Hier tritt nun der Fluch des langjährigen Fans in Kraft: Wer die Entwicklung der Band kennt, konnte den Stil dieses Albums eigentlich voraussagen. Seit den legendären Power-Metal-Alben „Epica“ und „The Black Halo“ haben KAMELOT sich kontinuierlich vom Power Metal entfernt und sind dem Symphonic Metal immer näher gekommen. Diese Entwicklung erreicht auf „Silverthorn“ einen neuen Höhepunkt: Die orchestralen Arrangements sind noch dominanter geworden, fette Chöre mit mehr als fünf Sängerinnen dröhnen bei jeder Gelegenheit aus den Boxen, alles ist größer, pompöser, intensiver, vielschichtiger. Fans, die auf einen Stilwechsel in Richtung der beiden erstgenannten Alben gehofft hatten, werden also enttäuscht sein.

Wer hingegen in der Lage ist, sich davon zu lösen, und der Band zuzugestehen, dass nun mal nicht immer alles gleich bleiben kann (und sollte), wird ein ambitioniertes und interessantes Symphonic-Metal-Album finden, das einige Durchläufe braucht, bis man hinter dem Bombast die Komplexität der einzelnen Songs findet.
Leider setzt hier auch meine Kritik an: Man wird bei einigen Songs das Gefühl nicht los, dass das Songwriting hoffnungslos überladen wurde. Gleich im ersten Song nach dem Intro, „Sacrimony“, finden sich Chöre ohne Ende, Gastsänger-Growls, ein mit Streichern versetzter Refrain, cleane weibliche Gastvocals, ein harter Break und zu allem Unglück auch noch ein Kinderchor. Musste das alles wirklich in einen Song? Wäre nicht vielleicht weniger mehr gewesen? Offenbar sieht die Band das anders.
Dieses Gefühl erwischt einen bei späteren Songs immer wieder, besonders beim letzten Track vor dem Outro, „Prodigal Son“, der immerhin auch formal in drei Teile zerfällt, die sich deutlich voneinander unterscheiden. Hier aber stellt sich die Frage, warum eine so geniale Melodielinie wie im letzten, nur knapp zwei Minuten langen Abschnitt nicht prominenter platziert wurde. Man wird das Gefühl nicht los, dass es der Band schwer fiel, angesichts der Massen an Ideen und Material noch ihr A-Material vom Rest zu trennen.

Es dürfte deutlich geworden sein: Hier hat ein Fan des alten Materials gewisse Probleme mit der neuen Richtung. Innerhalb dieses eingeschlagenen Weges gibt es aber abseits des eben Kritisierten wenig zu mäkeln. „Solitaire“, „Torn“, „Falling Like The Fahrenheit“ – alles großartige Songs mit den wunderbaren, für KAMELOT so typischen Melodien. Die Band schreibt immer noch Ohrwürmer erster Güte, wenn es auch angesichts der vielen Effekte länger dauert, bis man seine Favoriten findet. Rein gar nichts gibt es auch an der Produktion zu kritisieren, für die Sascha Paeth verantwortlich zeichnet, der für seinen Perfektionismus bekannt ist: Das Ergebnis sind fette Klänge, ein perfekter Misch, ordentlich Tiefe im Klang der Rhythmussektion und Schärfe und Präzision bei den Gitarren – alles paletti!

Fazit: Alte Fans werden mit diesem Album nicht völlig verprellt, neue sicher gewonnen. Ein bitterer Nachgeschmack bleibt zwar angesichts des Bombast-Overkills, aber wer will schon eine Band, die immer wieder dasselbe Album aufnimmt? Innerhalb des Symphonic Metals bleibt dies ein ausgezeichnetes Album, für Fans des alten Materials der Band hingegen ist es etwas schwer verdaulich.

Wertung: 8 / 10

Publiziert am von Marc Lengowski

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