Die amerikanischen New Artrocker JOLLY haben eine Mission: Sie wollen uns alle glücklich machen. Versuchten sie auf ihrem Debüt, uns unter Zuhilfenahme sogenannter binauraler Töne in Zustände wie Angst oder Entspannung zu versetzen und versprachen Luzidträume und Konzentrationssteigerung, gehen sie auf ihrem Zweitwerk noch einen Schritt weiter und nehmen den „Audio Guide To Happiness“ auf. Teil I wohlgemerkt.
Zunächst einmal: Wer mehr zu binauralen Tönen wissen will, lese den entsprechenden Wikipedia-Eintrag. Um es klar zu sagen: Ich kann den Sermon der Band und der Promoagentur leider nicht nachvollziehen. Der Selbstversuch fördert wieder das gleiche Ergebnis zutage wie schon vor zwei Jahren: Ich kann keine verstärkten Glücksgefühle, totale Anspannung oder ähnliches wahrnehmen. Insofern halte ich die Sache mit den binauralen Tönen eher für einen schlauen PR-Schachzug. Doch die Band meint es ernst – im Promotext heißt es: Mithilfe ausgiebiger Forschung und Untersuchungen an mehr als 5.000 Klienten konnten JOLLY die Kunst der Musikproduktion mit soziologischen und neurologischen Daten verbinden und die Ergebnisse in ein geschlossenes System von vier Phasen überführen.“ Forschungsdrang in allen Ehren, aber das sind doch ziemlich leere Worthülsen. Nun gut, die ersten beiden Phasen des geschlossenen Systems werden dem Hörer jetzt mit Part I von „The Audio Guide To Happiness“ vorgesetzt, womit wir nun endlich zur Musik kommen:
Das vorliegende Werk ist für die Band ein riesiger Schritt nach vorne. Die guten Ansätze des Debüts wurden weiterverfolgt, die Kompositionen sind allerdings deutlich ausgereifter, packender, zwingender. Bot „46:12“ bei allem erkennbarer Potenzial noch reichlich Gelegenheit zum Abschweifen und Langweilen, ist Album Nummer 2 durchweg schlüssig, spannend und vor allem deutlich abwechslungsreicher ausgefallen, obwohl sich stilistisch nicht allzu viel getan hat. Anadale (Gesang, Gitarre), Anthony Rondinone (Bass), Louis Abramson (Schlagzeug) und Joe Reilly (Keyboards) fahren immer noch ihre Mischung aus brettharten Metal-Gitarren, nicht allzu komplexem New Artrock und Ambient-Soundscapes – das alles wie gehabt getüncht in ein leicht düsteres Klanggewand.
Bemerkenswert ist, dass das Album auf die Sekunde genau so lang ist, wie der Vorgänger hieß: 46:12 Minuten. Auf so eine Idee kann nur eine Progband kommen. Allerdings fällt die recht kurze Spielzeit der Platte in keinster Weise negativ auf – die Band hat einen Sinn für den packenden Aufbau eines Konzeptalbums. Längen sucht man hier vergebens. Die Atmosphäre ist dicht, irgendwie entrückt und stellenweise leicht psychotisch. Faszinierend und so bisher noch nicht dagewesen.
Absolutes Highlight ist „The Pattern“, das vor rockigen Grooves und himmlischen Melodien nur so strotzt und im instrumentalen Mittelteil nicht nur derbst nach Meshuggah klingt, sondern den Schweden erst einmal zeigt, wie man die typisch steril-kühlen Gitarrenriffs von Frederik Thordendal in einen packenden Song steckt. Meshuggah: Herhören! Nicht weniger beeindruckend ist „Where Everything’s Perfect“. Es beginnt als Gute Laune-Nummer, verbreitet aber untergründig Unbehagen. Man ahnt, an diesem tollen Traum ist irgendwas faul. Und behält recht. Eine absolute Achterbahnfahrt, die kindliche Naivität ausstrahlt und mit tollen Instrumentalparts, einer einzigartigen Stimmung und einem bitterbösen Ende punktet. Das sollte man gehört haben. „Joy“ ist ein Ohrwurm erster Güte mit einer fantastischen Pianomelodie. Eine recht straighte Nummer, die eigentlich im Mainstream erfolgreich sein müsste. So sollten HIM klingen. Das sich daran anschließende „Oh Darlin’“ ist locker und beinahe tanzbar, große Klasse. Mit „Storytime“ hingegen beiweisen JOLLY vorzügliche Balladen-Qualitäten.
Die Lage ist hier klar: Wer Prog gern hart rockend, atmosphärisch dicht und abwechslungsreich mag, notiert sich „The Audio Guide To Happiness“ bitte sofort auf seinem Einkaufszettel. Ein hervorragendes Album und eine echte Überraschung – binaurale Töne hin oder her.
Wertung: 9 / 10