Umtriebige Gestalten gibt es längst nicht nur in der Metal-Szene. Aber oft sind es diejenigen, die dann über Genregrenzen hin bekannt werden und so ist der Name JOACHIM WITT nicht erst seit dem Duett mit Peter Heppner („Die Flut“) auch in den Kreisen der härteren Fraktion ein gewichtiger Begriff. Nur ein Jahr nach dem letzten Album „Neumond“ ist WITT zurück und präsentiert sich auf „Ich“ erstmalig komplett in Eigenregie.
Das heißt: Der Hamburger zeichnet dieses Mal nicht nur für das Songwriting verantwortlich, sondern übernahm auch die Produktion mit allem drum und dran, um der Welt und vor allem sich selber zu zeigen, was er erschaffen kann. Herausgekommen sind dabei opulente 58 Minuten typischer WITT-Musik, die sich auf 13 Songs verteilen.
Wobei, ganz so typisch klingt „Ich“ dann vielleicht doch nicht. Setzte der Protagonist in der Vergangenheit, möglicherweise auch auf Anraten der Produzenten, vor allem auf elektronische, tanzbare Klänge, steht auf dieser Platte die „handgemachte“ Musik wieder deutlich stärker im Vordergrund. Die meisten Lieder bauen auf warmen Akustikgitarren auf, dazu ein paar Drums bzw. Percussions und natürlich der absolut markante, unverkennbare Gesang. Dabei bedient sich WITT hauptsächlich balladesken Tönen, nur ganz selten würde sich das Attribut Härte mal anbieten. Aber so oder so, die Songs gehen flott ins Ohr, ob sie jetzt zügig oder getragen dargeboten werden.
Und so lässt sich schwer beurteilen, wann „Ich“ besser klingt. Der Opener „Über das Meer“ eröffnet gleich mal mit einer gewissen emotionalen Eloquenz, trotzdem sind nach einigen Durchläufen die ruhigen Momente auf „Warten auf Wunder“ und „Lagerfeuer“ die Highlights. Eine tolle Atmosphäre trifft auf traurige Melodien und nachdenkliche Texte. Diese sind tatsächlich eine Erwähnung wert, deutsche Lyrik klingt nach wie vor zu oft aufgesetzt und irgendwie nicht rund. JOACHIM WITT schafft es aber, seine Sicht auf die Welt und die Dinge, die in ihr ablaufen, so gekonnt in Worte zu packen, dass es nie nur gewollt oder bemüht klingt, sondern stets den Anspruch auch verwirklichen kann.
Leider hat die ganze Sache einen Haken, gegen Ende packt er doch noch die Elektrik aus. Per se ist das nicht schlimm, aber die Qualitäten hat „Ich“ ganz einfach bei den gitarrendominierten Stücken. Vielleicht ist die Wirkung von Songs wie „Es wirbeln die Äste“, bei dem WITT praktischerweise die Konservenelemente mit dem eigenen Organ übernimmt, in nächtlichen Diskotheken eine andere, eine positivere. Als klarer Stilbruch gegenüber den ersten zwei Dritteln taugt die Nummer dann aber doch nicht und dies setzt sich bis zum Ende der Scheibe auch so fort. Vielleicht wäre das nicht so gravierend, wenn die ganze Platte insgesamt elektrischer orientiert wäre, so fügen sich aber zwei Teile zusammen, die nicht zu passen scheinen.
Diese Kritik in einem Metalmagazin wird sicher dem einen oder anderen sauer aufstoßen, weil sie möglicherweise ungerechtfertigt erscheint. Man muss schließlich dennoch die künstlerische Arbeit von JOACHIM WITT sehen und anerkennen. Trotzdem sagen die ersten acht, neun Nummern wesentlich mehr zu. Ein kleiner Makel, aber einer, der „Ich“ schon schwächt.
Wertung: 7.5 / 10