Review Jess And The Ancient Ones – Vertigo

  • Label: Svart
  • Veröffentlicht: 2021
  • Spielart: Rock

Nachdem Stimmwunder Jess 2019 Solo mit dem Projekt Jess By The Lake unterwegs war, folgt nun endlich der lang erwartete Nachfolger zum letzten JESS-AND-THE-ANCIENT-ONES-Album „The Horse & Other Weird Tales“. Die neue Scheibe hört auf den Namen „Vertigo“ und ist kein Konzeptalbum zum gleichnamigen Hitchcock-Klassiker. Denn an Stelle von nervenzerfetzendem Psycho-Horror servieren die Finnen auf Album Nummer vier psychedelisch-poppigen Rock der Spitzenklasse. Kreativkopf Thomas Corpse und Frontfrau Jess führen den auf „The Horse & Other Weird Tales“ eingeschlagenen Weg fort und fokussieren ihren Sound sehr stark auf psychedelische Keyboards, flotte Rythmen und Jess einzigartige Stimme.

Bereits die erste Single „Summer Tripping Man“ wies deutlich in diese Richtung. Zu einem so eingängigen und poppigen Refrain möchte man sofort das Tanzbein schwingen. Was sofort auffällt: Zugunsten der Keyboard-/Orgel-Melodien mit Ohrwurm-Garantie, treten Corpse und seine Gitarre recht weit in den Hintergrund. Standen JESS AND THE ANCIENT ONES zu Beginn ihrer Karriere für massiven Gitarrensound mit drei Äxten, ist seit dem „Vertigo“-Vorgänger nur noch ein Gitarrist Teil des Lineups. Mit dem aktuellen Werk scheint die Transformation nun abgeschlossen zu sein, den neben der raumfüllenden Orgel von Tastenmagier Abraham, haben Riffs keine wirkliche Chance mehr. Klingt erstmal ernüchternd, schließlich sind JESS AND THE ANCIENT ONES ja immer noch eine Rock-Band. Im Endeffekt aber gehen die Finnen einfach noch etwas weiter zurück in der Geschichte der Gitarrenmusik und siedeln „Vertigo“ dadurch tief in den späten 60ern an.

Neben der bereits erwähnten Single versprühen besonders der Opener „Burning Of The Velvet Fire“, „Love Zombi“ und „World Paranormal“ diese besondere Mischung aus Psychedelic, 60ies-Pop und Okkult-Rock. Manchmal fühlt man sich an The Doors, manchmal an Jefferson Airplane erinnert, aber immer klingt die Musik dabei zu 100 Prozent nach JESS AND THE ANCIENT ONES. Und was darf auf einem JATAO-Album auf keinen Fall fehlen? Richtig, psychedelisch-progressive Ausflüge in die tiefsten Tiefen des Okkult-Rock. Trotz aller Eingängigkeit, fehlen die natürlich auch auf „Vertigo“ nicht. Jess und ihre Jungs mischen für „Talking Board“ und „Born To Kill“ munter Jazz mit Funk und den typischen Psychedelic-Elementen. Für Okkult-Fans dürfte besonders der Text von „Talking Board“ ein echtes Schmankerl sein. Mit dem Überlangen „Strange Earth Illusion“ beschließen JESS AND THE ANCIENT ONES Album Nummer vier und schöpfen kreativ nochmal aus den Vollen. Das Stück muss den Vergleich mit anderen großen Songs des 60er-/70er-Rock nicht scheuen, besonders die Deep-Purple-Übernummer „Child In Time“ kommt dem Hörer sofort in den Sinn. Denn auch JATAO zelebrieren in den gut zwölf Minuten von „Strange Earth Illusion“ große Epik, Emotionen, Drama und beweisen ihre virtuosen Fähigkeiten als Musiker.

JESS AND THE ANCIENT ONES lassen auf „Vertigo“ Veränderungen an genau den richtigen Stellen zu. So eingängig, knackig und spannend klangen die Finnen noch nie. Im ersten Moment vermisst man sicherlich die knarzigen Riffs, aber Jess und Thomas Corpse können einfach Songs schreiben, egal ob mit oder ohne viel Gitarre. Ein weiteres Highlight in diesem ohnehin schon wahnsinnig starken Musikjahr.

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Wertung: 9 / 10

Publiziert am von Juan Esteban

Ein Kommentar zu “Jess And The Ancient Ones – Vertigo

  1. Ich kann der Review so nicht zustimmen.
    Für mich ist das Album sehr zwiespältig. Während Tracks wie World Paranormal, oder das einhellig gelobte (nach dem was ich so an Rezensionen so gelesen habe) Born to kill wirklich knallen, so fand ich Summer Tripping Man mit seinem unpassenden Bassgesang oder Talking Board mit dem streitbaren Text über Okkultismus, der für mich persönlich mehr Popappeal als sonst was hatte, fürchterbar. Ich weiß nicht. Ich finde textlich haben Jatao sehr abgebaut für mich seit Second Coming. Wo vorher unerhörte (drogeninduzierte) Visionen standen haben sich zunehmend textliche Plattitüden (How did you become like this?) durchgesetzt, was für mich persönlich den Kern einer Occult Band zerstört hat, da man in den Texten mittlerweile nicht einmal unbedingt etwas über Okkultismus, sondern mehr über dessen popkulturelle Verarbeitung lernen kann.
    Gleichzeitig mag ich die glatten poppigen Songs mit ihren einfachen Motiven und wohlgefälligen Melodien nicht. Es ist vielleicht eine Frage des persönlichen Geschmacks und ich bin die erste die offen zugibt, dass sie die Prunes jederzeit über die 13th floor elevators stellen würde, oder The Byrds über die Moving Sidewalks. Aber ich kann mir nicht helfen. Für mich ist das alles sehr easy listening in einer rebellischen Verpackung geworden.
    Und da liegt denke ich mein Problem: Musikalisch ist es nicht schlecht, es ist meinem Empfinden nach einfach enorm platt, was womöglich für bessere Verkaufszahlen steht, aber mich nicht glücklich machen kann. Ich möchte nicht einmal unbedingt ein zweites Occult Doom Album, ich würde mich einfach über mehr Abwechslung in einer weniger gleichförmigen Richtung freuen.
    Hoffnung gibt mir ja, dass ich eine gute Hälfte des Albums gerne höre und das eben die Hälfte ist die so gar nichts mit The Horse zu tun hat. Da würde JATAO gerne sehen: Mehr Tempiwechsel, weniger Orgel als Poporgan und mehr harte und tiefe Texte.
    Bin ich unfair zu dem Album? Ich weiß es ehrlich gesagt nicht, da es musikalisch absolut in Ordnung geht. Es ist vielleicht wirklich persönliche Präferenz, aber andererseits sehe ich nach einigen Wochen rauf und runter hören eine gewisse Tendenz: Am Anfang unbekannt und neu, mit znehmender Zeit einfach zu sehr bekannt und uninteressant, da die Songs langfristig nichts zu bieten scheinen, man hat es einfach schon gehört, zumeist auf SWR 3, denn die Halbwertszeit eines gefälligen poppigen Songs ist bei mir ähnlich lange (wenn ich denn Pop höre), was gemessen an den Großtaten der ersten zwei Alben plus EP wirlich wenig ist.
    6/10

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