Ganz sicher gehört der Franzose JEAN-MICHEL JARRE zu denjenigen Künstlern, die weit über Genregrenzen bekannt sind. Dies hat Gründe, die vor allem in der hohen Qualität seiner Musik, aber auch in seiner charismatischen Persönlichkeit zu finden sind. Seit mittlerweile über 40 Jahren bzw. erst recht seit der Veröffentlichung des Chartbreakers „Oxygene“ 1977 ist er aus der elektrischen Szene nicht mehr wegzudenken.
JEAN-MICHEL JARRE ist sicherlich ein sehr umtriebiger Mensch, unter seinem Namen sind nicht weniger als 20 Alben, sieben Live-Veröffentlichungen, 19 „weiteren Veröffentlichungen“ (wie Wikipedia es tituliert) und 33 remasterten Platten erschienen, die Anzahl an ausgekoppelten Singles dürfte kaum noch zu zählen sein. Also wurde es Zeit, mal etwas anderes anzugehen, das Resultat ist der erste Teil der „Electronica“-Reihe, dem im Frühjahr 2016 ein weiteres Output folgen soll.
Um sich versammelt hat der Musiker einige mehr, andere weniger bekannte Mitstreiter. Sagen einem Namen wie der Pianist Lang Lang, Filmemacher John Carpenter, DJ Armin van Buuren (unter anderem durch seinen aktuellen Auftritt auf Faithless` Best-Of Faithless 2.0) und natürlich Moby durchaus etwas, scheinen M83 oder Gesaffelstein eher was für Szenekenner zu sein. Wie auch immer, die 16 Songs unterscheiden sich fast alle recht deutlich voneinander, was ein Zeichen für den jeweils eigenen Stempel der Mitkünstler ist. Die Lieder sind im Wesentlich eher ruhig, warm und melodisch gehalten und – das sei vorweg genommen – dann überzeugt JEAN-MICHEL JARRE am meisten. Dem gegenüber stehen beispielsweise die beiden „Automatic“-Teile, die eher hart und kalt klingen und sich eher für die Tanzfläche als den heimischen Player eignen. Warum auch nicht, auch bei Metal-Veröffentlichungen unterscheidet man ja gerne zwischen Kopfhörermusik und Stoff, der für die Bühne gemacht scheint.
Etwas auffällig ist, dass die guten und eben meist langsamen Lieder allesamt etwas Zeit für ihre Entwicklung in Anspruch nehmen. Wenn es lang wird, wird es gut, könnte ein gemeinsamer Nenner sein. Ebenfalls wenig überraschend ist der Umstand, dass die subjektiv besten Lieder diejenigen sind, die von den weltweit bekannten Gästen unterstützt werden. „Suns Have Gone“ und „The Train And The River“ lassen sich ohne Probleme als Anspieltipps nehmen, aber auch „Glory“, „Close Your Eyes“ und „If…!“ fallen unter diese Kategorie. Hier finden sich gefühlvolle Melodien, die nicht mal alle von Synthesizern kreiert werden, dazu mitunter tolle Stimmen, die auch auf gitarrenlastigen Veröffentlichungen absolute Daseinsberechtigung genießen würden. A apropos: Die „Was wäre, wenn“-Frage darf hier ruhig gestellt werden, was wäre, wenn JEAN-MICHEL JARRE sein Talent nicht (nur) auf elektrischem Wege entfalten würde? Was könnten es für großartige Songs sein, wenn ein echtes Schlagzeug den Beat und Gitarren die Melodien liefern würden? Dennoch, auch der Stil des Franzosen ist eine feine Sache und wenn man die gänzlich schwarze Metal-Brille einmal abnimmt, kann man für sich einige Perlen entdecken, auch wenn nicht alles Gold ist, was da glänzt.
Für wen ist „Electronica I: The Time Machine“ eine empfehlenswerte Anschaffung? Für seine Fans ganz sicher, aber auch für alle, die sich gut gemachter Elektronik nicht verschließen und noch dazu den Blick stets nach vorne richten. Schließlich ist das Album nicht JEAN-MICHEL JARRE, sondern eine Compilation, an deren Anspruch die vielen renommierten Gastmusiker einen gehörigen Anteil haben. Zumindest aus „metallischer“ Sicht ein starkes Album!
Wertung: 8.5 / 10