Als „Klassiker“ bezeichnet man laut Lexikon „Künstler od. Wissenschaftler, dessen Werke über seine Zeit hinaus als mustergültig anerkannt worden sind“(*) und dadurch folgerichtig bei der Betrachtung des Geschaffenen „die Werke selbst“. Auch im von uns so geliebten Metal spricht man gerne von so genannten „Klassikern“ ob im Metal allgemein wie „Master of Puppets“ oder „The number of the beast“ oder vom Klassiker der Genremusik wie „Reign in Blood“. Natürlich ist es dabei zu vermessen einem gerade erst 6 Jahre alten Werk wie „Oceanic“ von ISIS diesen Status zu bescheinigen. Allerdings wage ich behaupten zu können von einer Platte mit Klassikerambitionen sprechen zu können.
ISIS war vor „Oceanic“, unter Mike Pattons Icepac-Recordings, bei weitem keine große Nummer. Man gehörte zu einer ganzen Reihe mittelmäßiger Neurosis-Epigonen, die irgendwo im Spannungsfeld zwischen Hardcore und Doom Metal hauptsächlich damit beschäftigt waren mächtige Soundtürme aufzustapeln und schließlich einbrechen zu lassen. „Celestial“ und „The red sea“ waren gute, aber dennoch keine herausragenden Werke. Aaron Turner der Bandkopf von Isis hatte zu dem Zeitpunkt der Veröffentlichung von „Oceanic“ schon die Gründung seines eigenen, kleinen Labels Hydrahead auf dem Buckel. Er interessierte sich schon damals für alle Formen der Kunst, vor allen Dingen auch für die visuelle Seite, da er seit her auch immer wieder gerne Cover für befreundete Bands entwarf.
Der Klang des Albums ist so eigenwillig und besonders wie der Albumtitel selbst. Das Mammutwerk ist „ozeangleich“: Wellenartig durchströmt einen Harmonie um im nächsten Moment in das brausende Toben einer mächtigen Welle umzuschlagen. Man kann die Platte nicht einfach mal schnell zwischendurch hören. Man muss sich auf das Album einlassen. Man muss sich treiben lassen um die Langrille verstehen zu können, man muss abtauchen in die endlosen Tiefen des Werkes um alles entdecken zu können.
Isis bedienen sich einer spezifischen musikalischen Sprache um eben jenes umwerfende Klangbild zu erzeugen. Ihr von zahlreichen Größen des innovativen Metal inspirierter Stil, aus dem sich Einflüsse von Melvins über Tool bis hin zu natürlich Neurosis entdecken lassen, wurde dabei stark erweitert. Egal ob die fetten Gitarrenwände oder die ausufernden Riffs, alles wird zur Verstärkung der gesamten Atmosphäre gebrochen oder erweitert, um das optimale Ergebnis zu erzielen. Selbst der Brüllgesang, ein Indiz des Hardcorehintergrunds der Band, tritt deutlich aus dem Scheinwerferlicht. Die Gesangspassagen treten nur vereinzelt auf und dann meist zur Unterstützung der Gitarren. Superb unterstützt wird Turner durch die Gastsängerin Maria Christofer (27) in „The beginning and the end“ und „Weight“. Sie erweitert das Album um zusätzliche emotionale Nuancen. Insgesamt ist das Album aber durchweg instrumental angelegt. Die eher langsamen 9 Stücke bekommen alle Zeit der Welt um sich entwickeln zu können. Hier zeigen sich deutliche Paralellen zu Vertretern des Post Rocks wie Godspeed you! Black emperor oder Mogwai. In zahlreichen Momenten fühlt man sich gar an Ambient-Musik erinnert, etwa durch hervorragend in die Thematik passenden Elektronica im Stile von Walgesängen. Die tendenziell überlangen Songs wirken aber nie langatmig, sondern besonders durch das perfekte Spiel mit der Laut-Leise-Dynamik äußerst spannend. Dies macht quasi jegliche Abnutzungserscheinungen unmöglich.
Was den Status des Albums als Anwärter zum Klassiker noch deutlicher macht sind die verschiedenen, begeisterten Rezensionen der Fachpresse Anno 2002. Durch diesen neuen, ungehörten Sound sahen sich verschiedene Experten dazu gezwungen als metallisches Pendant zu Post Rock von Post Metal zu sprechen. Natürlich ist die Ahnenreihe der Einflüsse deutlich hörbar. Doch ähnlich veranlagte und zwischenzeitlich auch ziemlich erfolgreiche Bands wie Cult of Luna oder Pelican erscheinen klar von „Oceanic“ beeinflusst zu sein. Beim Durchstöbern großer Metalmagazine vergehen selten zwei Monate in denen man inzwischen nicht liest, dass Isis einer Band als Blaupause diente. In so fern kann man bereits heute von einer gewissen „Mustergültigkeit“ sprechen. Aaron Turners großer Verdienst durch dieses Album ist auch, dass er es verstand das Album mit intellektuellen Versatzstücken anzureichern. Für die Covergestaltung zeigt sich der Gitarrist und Sänger gleich mit verantwortlich. Auch das Konzept hinter dem Ganzen ist nicht gerade leichte Kost: Ein Mann findet die scheinbar perfekte Frau für sich, um aber schließlich von einer schrecklichen, scheinbar inzestuösen Verbindung ihrerseits zu ihrem Bruder zu erfahren und schließlich Selbstmord zu begehen. Dies alles wird allerdings nur in Metaphern angedeutet und kann nur nach ausführlicher Beschäftigung erahnt werden. Wenn gleich es verschiedene Bands vorher schon verdient hätten, schaffte es Aaron Turner seine Band ins Gespräch bei Kunstzirkeln zu bringen. Nicht umsonst gibt es auch ein komplettes Werk namens „Oceanic: Remixes und Reinterpretations“, welches ausschließlich neue Versionen der Songs von diversen Größen der Szene wie Justin Broadrick (Godflesh, Jesu), Mike Patton (Fantomas, Faithnomore) oder James Plotkin (Khanate, OLD) enthält.
„Oceanic“ ist ein fantastisches Album mit etlichen Facetten an denen sich das gewillte Ohr nach und nach laben kann. Jeder der mit dem Banner Post Metal etwas anzufangen weiß wird die Scheibe ohnehin vergöttern. Aber auch jeder andere aufgeschlossene Musikliebhaber sollte sich die Scheibe zu Gemüte führen. Es besticht durch die perfekte Melange aus Schubladen schlicht pulverisierender Härte und fragiler Emotionalität. Die beiden Nachfolger „Panopticon“ und „In the absence of truth“ konnten im gefundenen Stil sehr gut variieren, beziehungsweise waren durch neu gewonnene technische Raffinessen etwas ausgefeilter, ziehen aber im direkten Vergleich immer noch den Kürzeren. Heute sprechen wir von einem genialen Album, in 20 Jahren bestimmt von einem Klassiker.
Redakteur: Lukas Schildknecht
Wertung: 10 / 10