Review Iotunn – Kinship

Dieser Tage ist es nicht mehr allzu leicht, vom Metal noch wirklich überrascht zu werden. Musikalisch hat alles seine Form gefunden. Der Standard wird gehalten, jedoch nur selten übertroffen oder redefiniert. 2021 entstiegen dieser gemütlichen Ödnis dann IOTUNN, eine dänische Progressive-(Death-)Metal-Band, die mit einem bockstarken Debüt einen meisterhaften Einstieg bei Fans und Presse feiern konnte. Das Bemerkenswerte dabei ist, dass bis auf Sänger Jón Aldará (Hámferd, Barren Earth) die Musiker hinter IOTUNN noch keine allzu großen Treter in den Szenemorast gesetzt haben. IOTUNN überzeugen also nicht durch bekannte Namen. Es ist die Qualität der Musik selbst, die zu begeistern weiß.

„Kinship“ ist erst die zweite Full-Length-Veröffentlichung von IOTUNN, steht ihrem gelobten Vorgänger aber in absolut nichts nach. Sie sprüht vor Melodie und ungestümer Wucht. Die Dynamik der Songs gleicht einem reißenden Strom, der den Hörer umspült und mit sich reißt. Allein der Opener „Kinship Elegiac“ ist mit seinen 14 Minuten nicht nur gewaltig lang. Im wahrsten Sinne ist schon dieser Song ein Zeugnis des schieren Talents der Band.

„Kinship Elegiac“ mag als erstes Stück anfangs ein wenig erschlagend daherkommen, weiß aber durch seine unglaublich schönen Melodien tief zu beeindrucken. Trotz seines progressiven Charakters wirkt der Song angenehm fließend. Nichts passiert willkürlich. Das herausragende „Mistland“ schafft eine schöne Ordnung und Herr im Himmel nochmal – dieser Refrain. IOTUNN klingen wie eine wilde Mischung aus In Vain, Amorphis, Mercenary und Ne Obliviscaris. Wenn dann eine Ballade wie „Iridescent Way“ angestimmt wird, kann als angenehme Ergänzung noch ein wenig Katatonia oder sogar Blackmore´s Night durch den ungemein dichten Sound von IOTUNN hindurch schimmern. Der gut beigemischte Black Metal, wie zum Beispiel auf „Twilight“ und „Earth To Sky“ eingesetzt, macht die Melange perfekt.

Aber nicht nur ist es die Menge an großen Melodien und Stimmungen – IOTUNN lassen auf „Kinship“ zu keiner Zeit die Härte missen. Rasante Blastbeat-Parts mischen sich immer wieder mit schwarz eingefärbten Gitarrenwänden, kontrastiert von Jón Aldarás großartigem (wenn auch partiell etwas pathetischem) Klargesang. Vielleicht ein kleiner Wermutstropfen für alle Extreme-Vocal-Fetischisten, jedoch in keinem Fall ein tragfähiger Kritikpunkt: Growls und Screams kommen auf „Kinship“ nur sporadisch vor, dann aber umso wirkungsvoller. Gerade die Entscheidung beim Gesang, mit dieser Facette bewusster umzugehen, macht die letzte große Stärke dieses Albums aus: die Melancholie. Denn nicht nur bringt Fronter Jón Aldará schon in Sachen Genrehintergrund einiges an Qualität mit. Die melancholische Grundstimmung auf Tracks wie „Kinship Elegiac“, „I Feel The Night“ oder „Iridescent Way“ wird von IOTUNN mit solch einer Intensität dargeboten, wie es zuletzt die Genre-Kollegen von In Mourning auf „Garden Of Storms“ zustande brachten.

Das Ende der Geschicht’? Makel hat dieses Album nicht. Der Rezensent zumindest würde vergeblich danach suchen. IOTUNN stehen mit „Kinship“ dem Strom der Gefälligkeiten, gerade im Death Metal der heutigen Zeit, entschieden entgegen. Was sie anbieten können, ist vor allem eines: Authentizität. Die Spielfreude, die Komplexität bei gleicher Zugänglichkeit, die ungeheure stilistische Vielfalt, toller Gesang und ein riesiges Repertoire an großen Melodien machen „Kinship“ für alle unvermeidbar, die sich dem melodiösen Extreme Metal verschrieben haben. Dass die immense Fülle an fantastischen Arrangements dabei vielleicht zu Beginn etwas (über-)fordernd sein kann, ist spätestens beim dritten Durchlauf des Albums kein Thema mehr. Wenn IOTUNN diesen hochqualitativen Weg weiter beschreiten, ist ihnen die Zukunft unter den Großen ihres Genres absolut gewiss. Weniger als die Bestnote ist hier nicht zu vergeben.

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Wertung: 10 / 10

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