Irgendwie ist es ja schade, dass Jahrhundertbands eben dem Namen entsprechend nur etwa einmal pro Jahrhundert die Bildfläche betreten. Auf der anderen Seite nützte es auch nichts, wenn Bands wie IN THE WOODS… ständig aus den (norwegischen) Wäldern gekrochen kämen, dann wäre es ja auch nichts Besonderes mehr. Und Alben wie „Omnio“ wären wohl weniger mitreißend, weniger emotional, weniger großartig, weniger von Allem halt. Denn was die acht Herrschaften um das geniale Gesangsduo Synne „Soprana“ Larsen und Jan Kenneth Transit hier abgeliefert haben, nimmt einem schlicht die Worte und den Atem, diese auszusprechen.
Zu erwarten war dieses Album allerdings nicht unbedingt; zwar hatten die Norweger mit ihrem Debüt „Heart Of Ages“ und dem Nachfolger „Return To The Isle Of Man“ bereits gezeigt, dass sie außergewöhnliches Liedgut erschaffen können, jedoch regierte zu diesen Zeiten noch eher der schwarze Metal, wohingegen wir es bei „Omnio“ doch eher mit progressiv-düsteren Themen zu tun haben. So kommen die fünf bzw. sieben Lieder (der Titeltrack ist dreigeteilt) locker auf über eine Stunde Spielzeit, und nur „I Am Your Flesh“ und „Kairos“ unterschreiten die Zehn-Minuten-Schwelle. Solche Spielzeiten erzeugen natürlich vor allem eines: gänsehauttreibende Atmosphäre, wobei (und das wird den Metalhörer freuen), nur ganz vereinzelt Keyboards zum Einsatz kommen und diese Intermezzi sind auch nur sehr kurz und größtenteils als Piano gehalten, Schmalzgefahr besteht also nicht.
Zugegebenermaßen, Eingängigkeit wird man bei „Omnio“ sicher vergeblich suchen, dies wird bereits beim Opener „299 796 km/s“ deutlich. Der Song entfaltet sich nur langsam, zarte Streicher leiten ein, nach etwas mehr als einer halben Minute setzt die Band ein und legt ein Gitarrenriff vor, welches das Innere zutiefst berührt. Ein wohliger Schauer läuft den Rücken herab, man fühlt sich in eine andere Welt versetzt, in der die Realität außer Kraft gesetzt zu sein scheint. Nach zwei Minuten setzt erstmals der Gesang ein, Jan Kenneth nimmt uns an der Hand und führt uns weiter in die Welt von IN THE WOODS…, auf dass wir einer Reise antreten, ohne uns eine Wiederkehr zu wünschen. Auch Synne Soprana steigt etwas später ein und tut genau das, was ich normalerweise eher deutlich ablehne: sie singt im Quietscheentchen-Stil und das nicht zu selten. Aber glücklicherweise ist bei IN THE WOODS… nicht allzu viel normal, denn Synne trifft nicht nur jeden Ton auch in den höchsten Lagen perfekt, sondern die Darbietung über mehrere Oktaven fügt sich bestens in das Gesamtgebilde ein. Zwischendurch sorgt immer wieder die Streicherfraktion des „Dust-Quartetts“ für filigrane Abwechselung, aber auch einige heftigere Gitarrenparts säumen den Weg durch einen Traum, der gar keiner ist. Am eindrucksvollsten jedoch ist das Selbstverständnis, mit dem sich die Band Melodien aus den Ärmeln schüttelt; da kann sich so manche Band, die gerne episch wäre, eine ordentliche Scheibe von abschneiden, zum Ende der gut 15 Minuten steigert die Band die Intensität schier ins Unermessliche und schafft damit einen absolut gelungenen Übergang in den zweiten Song „I Am Your Flesh“.
Dieser ist mit Abstand der härteste Track auf dem Album und lässt noch am ehesten erkennen, wo die Wurzeln der Band einmal gelegen haben. Hier geht es teilweise recht flott zur Sache und die sonst so sanfte Stimme von Jan Kenneth kommt hier recht rau daher, natürlich nicht, ohne die bereits angesprochenen Melodien zu vernachlässigen. Interessant ist bei diesem Song vor allem der Einsatz eines Gitarren-Feedbacks zur Erzeugung eines Klangteppichs. Nun gut, fast jede x-beliebige Band nutzt hier ein Keyboard, IN THE WOODS… zeigen, wie man es kunstvoll angehen muss. Etwa ab zweieinhalb Minuten wird der Song erst mal bedeutend ruhiger, lebt im Folgenden von kurzen, emotionalen Ausbrüchen und steigert sich gegen Ende härtemäßig wieder auf das Anfangsniveau. Mit „Kairos“ folgt dann der aufgrund seiner einfachen Struktur und Kürze (nur dreieinhalb Minuten) beinahe ungewöhnlichste Song. Akustische Saiteneinlagen eröffnen, bevor, ähnlich dem Opener, ein zutiefst emotionales Gitarrenriff übernimmt. Der Song lebt dabei von Synnes Gesang, die hier ganz alleine intoniert und hier den „günstigen Moment“, dem gleichnamigen und gleichbedeutenden Gott der griechischen Mythologie entsprechend.
1So, bis hierher hat der Hörer sich schon mehrfach verwundert die Ohren gerieben, ob soviel Genialität und Größe. Dennoch haben sich IN THE WOODS… gedacht „das geht noch besser“ und haben „Weeping Willow“ geschrieben. Ein atmosphärischer Beginn, in den unvermittelt die Band und sofort einsetzender Gesang einbrechen. Die ersten Zeilen sind für mich das Schönste, was IN THE WOODS… auf dem Album in textlicher Hinsicht abliefern, aber auch musikalisch ist es einfach unfassbar schön, dass man schon fast weinen möchte. Der ergreifendste Moment der gesamten CD ist hier nach etwa zwei Minuten, es handelt sich dabei um eine der zu Beginn angesprochenen Keyboardstellen. Seit ich den Song zum ersten Mal hörte, hat sich bei mir an diesem Punkt eine Vision manifestiert; der Hörer läuft auf ein Holzhaus zu, welches von den letzten Sonnenstrahlen eines herbstlichen Tages beschienen wird, die Tür geht auf und im Inneren befindet sich nichts als ein Klavier und einem Spieler, der völlig selbstvergessen diese herrliche Melodie spielt. Allein für diese kurze Passage lohnt es sich vermutlich zu sterben. Zum Glück muss niemand selbiges tun, sondern kann weiterhin weltvergessen den Klängen dieser ungewöhnlichen Band lauschen, Melodien wie vom Fließband, außergewöhnliche Arrangements wo man nur hinschaut, „Weeping Willow“ ist wirklich und ohne Übertreibung eines der ganz großen Lieder des Genres.
Den krönenden Abschluss bildet der 26-minütige Titeltrack „Omnio“, bestehend aus den Parts „Pre“, „Bardo“ und „Post“. Die Gesangsduette, die Synne und Jan Kenneth hier abliefern, sind aller Ehren wert, ein ständiges Wechselspiel zwischen latenter Aggression und sanften, fast zerbrechlich wirkenden Passagen zeigt einmal mehr die Klasse von IN THE WOODS… Wo sich z.B. der Titeltrack von THE GATHERINGs (immerhin auch eine Ausnahmeband) „How To Measure A Planet“ in 25-minütiger, keyboardschwülstiger Belanglosigkeit verliert, zeigen die acht Norweger, wie man den Hörer auch über eine so lange Zeit fesseln kann und tun dies vorbildlich bzw. mit einer Vision, wie sie nur ganz selten geboren wird.
Was soll’s, wenn mir nicht die Superlative ausgehen würden, könnte ich wohl noch seitenweise über dieses Jahrhundertwerk schreiben, ein allzu ausführliches Fazit erübrigt sich wohl auch, denn wer jetzt noch nicht begriffen hat, was „Omnio“ für eine Klasse besitzt, wird es auch bei einem zusammenfassenden Sätzlein nicht tun. Alles andere als die Höchstnote wäre in diesem Fall eine Frechheit oder eine Lüge.
Wertung: 10 / 10
Ein Album, welches in dieser Schönheit wohl niemals wieder das Licht der Welt erblicken wird. Bedeutend mehr als 10/10!