Review In Flames – Clayman (20th Anniversary Edition)

Man kann der Corona-Krise an vielem die Schuld geben. Vereinsamung, weggebrochene Einkünfte, Stillstand in der Veranstaltungsbranche, verschobene Alben und vermutlich bald auch eine Unzahl überflüssiger Alben, die in der überschüssigen Zeit in der und über die Vereinsamung geschrieben wurden. Alben, die jetzt herauskommen, kann man aber wohl nur schwerlich dem bösen Virus in die Schuhe schieben – so gerne man das auch würde. Etwa bei der 20th-Anniversary-Edition des IN-FLAMES-Klassikers „Clayman“.

Die Erklärung wäre so herrlich einfach, dass sie sich als Verschwörungstheorie sicher schnell verbreiten ließe: Ein um die Umsätze besorgter Bandmanager, ein vereinsamter Anders Fridén und ein gelangweilter Björn Gelotte sitzen in einem Zoom-Meeting. Der Manager: „Wir müssen mal wieder was rausbringen.“ Björn: „Clayman hat ’n Jubiläum.“ Anders bohrt in der Nase. Der Manager: „Geil, das ziehen wir richtig groß auf. Re-Recording und alles.“ Björn: „Boah … ey. Aber maximal vier Songs.“ Anders: „Muss ich dann auch … ?“ Manager: „OK, so machen wir’s. Ja, Anders, du auch.“ Auch wenn es so sicher nie gelaufen ist – das Resultat wäre kein anderes.

Zum 20. Jubiläum kommt nun jedenfalls eine Neuauflage dieses Meisterwerks – mit neuem Artwork, Remaster und vier neu aufgenommenen Stücken. Künstlerisch wertvoll ist davon leider allerhöchstens das Artwork. Hier ist es Blake Armstrong tatsächlich gelungen, dem originalen Artwork gleichermaßen Tribut zu zollen wie es in ein modernes Layout zu überführen. Dass der bedrohliche Jesterhead im Hintergrund verschwunden ist und durch das neue IN-FLAMES-Symbol auf der Brust des homo vitruvianus ersetzt wurde, ist zwar schade, aber schlussendlich nur konsequent.

Zur Entstehung der neuen Artwork-Version hat das Revolver Magazin ein umfangreiches Making-of veröffentlicht. Vergleichbares wäre für den Re-Master von Ted Jensen, der unter anderem mit Pantera, den Deftones und Gojira gearbeitet hat, spannend gewesen. Vielleicht hätte man dann herausgefunden, was er eigentlich gemacht hat, denn zumindest auf hochwertigen Abspielgeräten lässt sich quasi kein Unterschied heraushören. Das ist insofern nicht schlimm, als „Clayman“ – anders als so mancher andere Klassiker – bereits im Original einen hochklassigen Sound hat, dessen gröbere Veränderung mit aller Wahrscheinlichkeit keine Verbesserung gewesen wäre. Sollte die CD durch den Re-Master auf schwächeren Endgeräten nun eventuell etwas besser klingen, wäre das vielleicht ein Pluspunkt – trotzdem ist das Re-Mastering eigentlich vergebliche Liebesmüh: Die Zahl der audiophilen Hörer, die Musik über eine billige Anlage hören, ist schließlich eher begrenzt. So oder so sollte sich allein des „neuen“ Sounds wegen kein Fan das Album nochmal kaufen.

Bleiben die Bonustracks – und diese sind, das sei vorweggenommen, jeder für sich ein Grund, die „Clayman (20th Anniversary Edition)“ nicht zu kaufen. Denn was IN FLAMES hier mit vier ihren größten Hits machen, ist irgendwo zwischen Blasphemie und Mord zu verorten und sollte entsprechend geahndet werden: Hinter das vollkommen überflüssige „Themes And Variations In D-Minor“, ein Streicher-Instrumental auf Basis von „Clayman“-Melodien, haben IN FLAMES Neuaufnahmen der Hits „Only For The Weak“, „Bullet Ride“, „Pinball Map“ und „Clayman“ gehängt, die fulminant daran scheitern, die Melodic-Death-Metal-Hymnen in den modernen IN-FLAMES-Stil zu transferieren.

Instrumental natürlich solide eingespielt, sorgt schon der aufgepumpte und zugleich schwammige Sound für Unverständnis, in dem etwa die ziemlich undifferenziert abgemischten Becken komplett absaufen. Auch hätte es der Titeltrack „Clayman“ nicht verdient gehabt, dass sein einst so schönes Intro in billig klingenden Synth-Pop-Sound umgemodelt wird. Wirklich hart macht es für Fans der Originalversionen aber (wie zu befürchten war) erst Anders Fridén, der alle ruhigen Passagen mit seinem nöligen Alternative-Metal-Gesang vergewaltigt („Bullet Ride“). Der Kabarettist Jochen Malmsheimer sagte einmal: „Früher war nichts besser. Aber: Es gab Sachen, die waren früher gut und die wären das auch heute noch, wenn man die Finger davon gelassen hätte.“ Das gilt uneingeschränkt nicht nur für sein Beispiel, das Wurstbrot, sondern auch für diese vier Songs.

Mit „Clayman (20th Anniversary)“ machen IN FLAMES ihren Fans ein zweifelhaftes Geschenk mit Trojanisches-Pferd-Charakter: Hinter dem stimmig umgearbeiteten Artwork und dem immerhin nicht störend geremasterten Album verstecken sich fünf Bonustracks, mit denen IN FLAMES allerdings nicht Troja zerstören, sondern allenfalls ihren Ruf. Wer „Clayman“ noch nicht sein Eigen nennt, sollte tunlichst versuchen, die Originalversion aufzutreiben – für alle anderen gibt es sowieso keinen Grund, auch nur einen Cent (oder gar 16,99 € und mehr) für diesen Re-Release auszugeben.

>> Ein ausführliches Review zu „Clayman“ findet ihr hier.

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