Wenn man so wie der kanadische Multiinstrumentalist Joe Steel (ehemals Capitalicide) alles selbst machen kann, hat das für das eigene musikalische Schaffen mindestens einen enormen Vorteil: Man muss auf niemanden warten. Entsprechend hat es der Bursche aus Ottawa mit seinem Ein-Mann-Projekt ICE WAR seit 2017 auf stolze sechs Alben und vier EPs gebracht, was insgesamt zehn Veröffentlichungen in besagtem Zeitraum ergibt – Respekt. Mit „Feel The Steel“ steht nun das neueste Album des Herrn, der übrigens noch zehn weitere Bands bzw. Projekte betreibt, in den Startlöchern.
Mit seinen unterschiedlichen Projekten macht Herr Steel so ziemlich alles von Punk bis Black Metal, bei ICE WAR geht es allerdings ganz klar um astreinen Heavy Metal der alten Schule. Der eröffnende Titeltrack „Venom“ oder „Memories“ machen dabei schnell deutlich, dass es auf „Feel The Steel“ ziemlich true zugeht, denn die Songs stecken allesamt tief im Fahrwasser von Bands wie Visigoth, Eternal Champion und deren legendärer Vorbilder Manilla Road. Neben oftmals episch stampfenden Riffs und gedoppelten Gitarrenläufen äußert sich das vor allem am Gesang. Hier wird ganz nach Art von Manilla Road auf „Crystal Logic“ jede zweite Silbe mit einem Übermaß an Vibrato gesungen – eine Technik, die bei einer Handvoll Sänger wirklich gut und allen anderen (einschließlich Joe Steel) nach Ziegenstall klingt.
Trotzdem: Die Songs auf „Feel The Steel“ sind nicht schlecht. Ganz im Gegenteil, das Material ist sogar ziemlich stimmig, die Refrains verleiten rasch zum Mitsingen und mit fortschreitender Spielzeit offenbart der Mann hinter ICE WAR sogar einiges an kompositorischer Tiefe. Im majestätischen „Red Fire“ etwa entsteht dank gekonnter Arrangements echte Gänsehaut und das groß angelegte „Lost To The Void“ erinnert in seinen besten Momenten gar an ähnlich geartete Songs von Cloven Hoof. Zudem arbeitet der kanadische Multiinstrumentalist in etlichen seiner Songs gekonnt Synthwave-Sounds ein, die so richtig schön nach den neonfarbenen 80ern klingen und den Sound von ICE WAR zudem von den vielen anderen True-Metal-Bands, die den gleichen Vorbildern nacheifern, abheben.
Das Problem von „Feel The Steel“ ist also nicht der Inhalt, sondern die Umsetzung. Zwar sind die Songs allesamt solide eingespielt, spätestens bei den Gitarrenmelodien und vor allem den seltenen Soli wird aber deutlich, dass der Macher absolut keinen Ton in den Fingern hat. Auch der Gesang ist in seiner urtypischen Art irgendwie charmant, man kann aber nicht überhören, dass Herr Steel öfter mal daneben liegt. Letztlich sei noch der Sound des Albums erwähnt, der wohlwollend als „ungeschliffen“ bezeichnet werden kann. Die ganze Platte klingt nach Tonbandgerät im Probekeller und der Mix ist reichlich unausgeglichen – mal ist die Snare gar nicht zu hören, dann wieder viel zu laut, der Bass dröhnt und die Toms sind kaum vorhanden. Das kann man natürlich als „authentischen Underground-Sound“ einstufen, man könnte aber auch behaupten, dass „Feel The Steel“ um 2000 noch als echt starke Eigenproduktion und heute höchstens noch als schlechtes Demo durchgegangen wäre.
Die Schamlosigkeit, mit der Joe Steel auf dem neuesten ICE-WAR-Album nicht nur gute Songs, sondern eben auch all seine Defizite an Instrumenten und Produktionsgerät zur Schau stellt, ist mit dem „Video“ zum Titeltrack perfekt zusammengefasst und man darf sie durchaus respektieren. „Feel The Steel“ enthält neun grundsolide und zum Teil sogar wirklich gute True-Metal-Songs nach US-amerikanischem Vorbild, die durchaus originelle Ideen zu bieten haben und vor allem live (sofern ICE WAR überhaupt live in Erscheinung treten) großen Spaß machen dürften. Was der Platte fehlt, sind Musiker, die den mitunter Gänsehaut-verdächtigen Arrangements gerecht werden sowie eine Produktion, die den heutigen Standards entspricht. Da Mr. Steel auch dem Punk nicht fremd ist, will er das aber vielleicht gar nicht und „Feel The Steel“ ist eigentlich ein dicker Mittelfinger für alle Technik- und Sound-Snobs. Auch OK.
Wertung: 6 / 10