Review HIM – Love Metal

Ein mich immer wieder beeindruckendes Phänomen ist die Band HIM aus dem kalten Finnland. Zu meinen persönlichen Favoriten gehörend, spalten sie gleich so einige Musikarten in zwei Lager. Die einen Metaller verabscheuen die Gruppe als Weichspüler-Rock, die anderen erinnern sich an Glanztaten wie die „Greatest Lovesongs Vol. 666“ oder diverse weitere gut rockende Songs der Gruppe. Das ist die eine Seite. Die andere Seite, das kann man nicht verschweigen, sind pubertierende Viva-Mädchen, die entweder auf einem Gothic-Trip sind oder aber einfach fanatisch für Frontmann Ville Valo schwärmen und sich gar nicht so recht für die Musik interessieren. Nachdem der direkte Vorgänger „Deep Shadows and Brilliant Highlights“ nahezu maßgeschneidert für zweitere Gruppe war, musste die Band mit „Love Metal“ wieder einen Zahn zulegen, um für die erste Gruppe interessant zu bleiben. Ville Valo’s Interviews zum Album ließen bereits auf nahezu vollständige Gebisse hoffen, was draus geworden ist, erfahrt ihr jetzt.

„Der härteste Song, den wir je geschrieben haben“ – das behauptet Bassist Migé über den Opener des Albums, „Buried alive by Love“. Tatsächlich beginnt der Song unglaublich energisch, er weist nicht unbedingt Härte in Form von tiefen, doomigen Tönen im Stil der „Greatest Lovesongs“ auf, sondern vielmehr absolutes Up-Tempo, das am ehesten mit dem ersten Track auf der „Razorblade Romance“ zu vergleichen ist – mit dem einzigen Unterschied, dass es hier alles noch viel heftiger wirkt, das Schlagzeug kommt gut raus, auch die Gitarre von Linde und Migès Bass rocken alles in Grund und Boden, bevor das Tempo gedrosselt wird und Ville Valo zum Einsatz kommt. Der Refrain fetzt dann hingegen wieder ordentlich, im späteren Verlauf weicht Ville’s Gesang gar aggressivem Geschrei. „Buried alive by Love“ kann man einfach nur als Killer bezeichnen, ein besonders für HIM-Verhältnisse nach dem laschen, dritten Album unglaublicher Schritt nach vorne bzw. hinten, was im Fall der Band aber alles andere als negativ gemeint ist. Dieser Song ist nebenbei die zweite Singleauskopplung, das Video dazu wurde vom vermeintlich größten HIM-Fan, Bam Margera (cKy, Jackass), gedreht und befindet sich auf der Limited Edition des Albums.
Vor einer zweiten Auskopplung jedoch muss es eine erste Auskopplung gegeben haben, und diese befindet sich an zweiter Stelle des Albums. Die Rede ist natürlich von „The Funeral of Hearts“, das weitaus ruhiger als der rauhe Opener anfängt. Es geht direkt mit Ville Valo los, ziemlich zügig verschwimmt seine Stimme dann aber mit der Hookline-Gitarre, die einigermaßen tief eine gehörige Prise Rock in den Mid-Tempo Song bringt. Die Verse sind von sachter Instrumentalisierung und recht positivem Gesang, welcher an manchen Stellen überdurchschnittlich hoch ausfällt, gezeichnet. Im späteren Verlauf gibt es sogar noch einen Gitarrenpart. Als erste Single dürfte der Song mit Bedacht gewählt worden sein, denn er fällt doch weitaus mainstream-tauglicher, ich wollte gar nicht mal mainstream-lastiger, aus als der harte Opener. Das macht das Stück natürlich nicht schlechter, es ist eingängig und nervt auch nach vielmaligem Hören nicht, wie es bei so manch einem Stück der „Deep Shadows…“ der Fall war.

Track 3 heißt „Beyond Redemption“ und beginnt mit kurzem Keyboard, bevor es gitarrenlastig weitergeht. Das ganze wirkt dabei etwas verträumt und stilistisch etwas wie „Wicked Game“, ähnelt dabei aber eher dem Original als der HIM-Coverversion, ist allerdings auch um einiges schneller gespielt. Die Verse enden jeweils mit einer übereinander gelegten hohen und tiefen Stimmlage Valo’s, was ein sehr guter Effekt geworden ist. Der Refrain ist natürlich wieder etwas zügiger, der zweite geht dann in einen Gitarrenpart von Linde über, so etwas hat man von HIM bisher nicht unbedingt gehört, gerade auch, da das Solo ziemlich lang ist und keine 5-Sekunden-Sache. Einen Chorus und einige Echo-Stimmverzerrungen später ist der Song vorbei. Ein gutes Stück, dass die Eingängigkeit von HIM mit neuen Elementen wie dem vergleichsweise aufwendigen Gitarrensolo paart.
„Sweet Pandemonium“ beginnt mit einer verzerrten Gitarre und geht in eine powervolle, langsame Melodie über, das ganze wirkt in etwa so, als hätte man „Gone with the Sin“ und „When Love and Death Embrace“ miteinander gekreuzt. Die Strophen sind recht kurz, so setzt es dann nach etwa einer Minute das erste Mal den Refrain, welcher zwar kraftvoller wirkt, jedoch keine drastische Tempoänderung aufweist. Linde’s Gitarre zieht sich durch einen überwiegenden Teil des Stücks und setzt sich im Gehörgang fest. Abwechselung erfährt der Song um die dritte Minute herum, sowohl mit der Gitarre als auch mit einem Dudelsack und Elektrosamples wird experimentiert. Der Rest des Songs besteht aus dem sich wiederholenden Refrain, nach beachtlichen 5 einhalb Minuten ist er vorbei.

An „I love you / Prelude to Tragedy“ von der „Razorblade Romance“ werde ich zwangsläufig von Nummer 5, „Soul on Fire“, erinnert. Im Up-Tempo wird höllisch losgerockt, dann nimmt die Geschwindigkeit rasch ab und macht Platz für Ville Valo, der atmosphärisch durch die Strophe führt und in einen wieder schnellen Refrain überleitet, der Eingängigkeit, Melodie und die Härte aus dem Anfangs-Riff verbindet. Nach dem zweiten Refrain setzt es abgehackte Schlagzeug-Salven, die in einen neuen, teils sehr hoch und hart gesungen Part übergehen, bevor es bei 2:56 einen wunderbaren Einschub gibt, den ich leider nicht so recht schriftlich verewigen kann. Anhören ;-)! Mit dem Hauptriff wird dem Song dann etwas später ein Ende gesetzt.
Ganz auf’s Klavier / Keyboard setzt „The Sacrament“, der sechste Song, bevor es nach einer halben Minute richtig losgeht, am ehesten mit dem Intro von „Heartache every Moment“ zu vergleichen, aber etwas melancholischer gehalten. Die erste Strophe beginnt sehr gut, schwächelt im Verlauf allerdings ein wenig. Teilweise drängt sich mir hier (das erste Mal!) ein etwas poppiger Eindruck auf. Dafür entschädigt der Refrain, der mit guter Melodie überzeugen kann. Stellenweise werden instrumental auch hier Dinge probiert, die man vorher nicht von den Finnen kannte – und die Versuche glücken ausnahmslos.
„This Fortress of Tears“ beginnt ebenfalls mit experimenteller Gitarre, sehr langsam, nach guten 20 Sekunden wird es dann tiefer, energischer, mit Schlagzeug unterlegt. Auf jeden Fall ein Intro, das man auch auf der „Greatest Lovesongs Vol. 666“ hätte finden können! Die Strophe fällt dann ziemlich ab und ist kaum noch von Instrumenten unterlegt. Ja, der Refrain…böse Zungen werden behaupten, dass das sehr kitschige, HIM-typische Kost ist, und auch ich muss zugeben, dass er mir nicht so sonderlich gut gefällt. Immerhin gibt es danach die sehr gute Gitarre vom Anfang des Songs. Nach 3 einhalb Minuten geht es etwas rockiger zu, Linde bekommt einmal mehr Zeit für einen Gitarrenpart, und diese nutzt er sehr sinnvoll. Im weiteren Verlauf bleibt das Lied langsam…ist eben eine Ballade, zwar keine schlechte, trotzdem der Song auf dem Album, der mir bis hierhin am wenigsten gefällt. Aus dem sehr geilen Riff hätte man mehr machen können.

Geradezu stampfend und mit merkwürdigem orientalischen Einfluss beginnt „Circle of Fear“. Minimalistisch geht es mit einer Gitarre weiter, das Schlagzeug setzt bald darauf ein, nach über einer Minute Instrumental kommt auch Valo mit sehr tiefen Vocals zum Zuge, bevor er im Refrain – gemäß seinen Mitstreitern – etwas lauter wird. Im weiteren Verlauf erfährt der Song eine etwas längere, ruhige Phase, bis der Chorus mit erneut recht hartem Gesang das Ende des Liedes einläutet. Einmal mehr kann ich mir hier nur die unglaubliche Freude an Neuem der Band loben, wirklich gut!
Über den neunten Track von „Love Metal“, welcher den verheißungsvollen Titel „Endless Dark“ trägt, hatte ich im Vorfeld schon einiges gehört. Oft war die Rede von einem erstaunlich experimentellen Track mit Überlänge, mal sehen, was draus geworden ist! Überlänge – na ja, 5:35, das wird noch viel besser! Es geht jedoch ziemlich rockig im Up-Tempo los, wenn auch nicht im Stil vom Opener oder „Soul on Fire“. In den Strophen wird es ruhiger, doch eine starke Gitarre setzt immer wieder ein. Der Refrain lebt von der guten Arbeit von Linde und Migé, Valo fügt sich mit langgezogenen Vocals ein. Einen mächtig fetzenden Part setzt es dann einmal mehr bei 2:58, das Saitenduo rockt wieder, bevor es eine Stelle gibt, die nur von einem leisen Glöckchen unterlegt ist…nun denn, Ville schreit, es geht wieder in den Chorus über.

Seeehr langsam beginnt „The Path“, der letzte reguläre Songs des Albums. Nach einer halben Minute setzen die Instrumente erst richtig ein, was am Tempo kaum was ändert. Riecht stark nach Ballade. Auch der Gesang und der Refrain nehmen mir diesen Eindruck nicht. Nach 3 einhalb Minuten gibt es eine Passage mit Marsch-ähnlichem Schlagzeug, dem ein schöner Gitarrenpart folgt, so dass es zumindest noch etwas Abwechselung gibt…das ganze flaut dann wieder ab, Refrain, doch dann steigert Valo seinen Gesang, das ganze wird dramatischer,und was ist das dann? Ein Solo, das göttlicher als Gott ist folgt, weitaus härter und energischer als der Rest des Songs, mit Elektrospielerei, wow! Die Gitarre ist einfach nur genial, überhaupt stimmt plötzlich alles…das Solo zieht sich über anderthalb Minuten und beendet den Song nach einer Spielzeit von 7:45 (!) Minuten. Hätte man mir das einfach so vorgespielt hätte ich – lasst es mich so salopp formulieren – meinen Arsch drauf verwettet, dass das nicht HIM ist. Ich kenne leider keinen einzigen richtigen Prog Rock-Song, aber mehr als ein normales Rock-Solo war das auf jeden Fall!
Nachdem ich meinen Linde-Schrein fertig aufgebaut habe, kann ich mich der „Zugabe“ widmen, dem Bonustrack „Love’s Requiem“, der sich auf der Limited Edition des Albums befindet.
Dieser beginnt sehr smooth, eine leise, irgendwie bluesig wirkende Gitarre leitet ein, auch mit Ville Valo’s einsetzendem Gesang tut sich erst mal nicht viel, bei etwa 1:35 folgt dann jedoch ein recht Gothic-angehauchter Refrain mit kräftigen Instrumenten, nett. Wieder langsam geht’s weiter, wieder der gute Refrain, nach diesem geht es dann härter weiter, eine düstere Atmosphäre macht sich breit – zumindest bis urplötzlich wieder der Schmuse-Takt angesagt ist. Dieser wird zwischenzeitlich von einem Solo unterbrochen, der eine weitere Abwechselung einbringt. Genau der fehlt es später wieder, denn der Refrain folgt ein weiteres Mal, in dessen Takt, Melodie und Tiefe geht es glücklicherweise eine ganze Zeit lang weiter, bis die – hört den Laien sprechen – Blues-ähnliche Gitarre den Song nach 8:35 (!) Minuten beendet.

Fazit: Wie versprochen hat sich bei den Finnen viel geändert. Immer wieder hörte man Sprüche wie „Back to the Roots“ und mehr Härte. Wie es mit der Härte so ist vermag ich gar nicht so genau zu sagen…Up-Tempo Nummern wie „Buried alive by Love“ oder „Soul on Fire“ rocken mit Sicherheit richtig gut und werden bei einigen Viva-Mädchen für Enttäuschung sorgen, doch ein überwiegender Teil des Albums findet eher im Mid-Tempo-Bereich statt. Generell wollte ich den Begriff „mehr Härte“ daher nicht so ohne Vorbehalt verwenden, im Vergleich zu den letzten beiden Alben hört sich „Love Metal“ jedoch weitaus erwachsener und reifer an. Die Gitarren erreichen oft eine Tiefe, wie man sie hauptsächlich von den „Greates Lovesongs Vol. 666“ kennt, auch wenn der Stil sich wiederum von eben jenem Glanzstück unterscheidet.
Wie schon oft genug im eigentlichen Review erwähnt, lobe ich mir aber besonders die schier grenzenlose Freude an Experimenten. Das fängt z.B. damit an, dass dem „Zentralismus“ im bezug auf Ville Valo ein Abbruch getan wird: Das erste HIM-Album, dessen Cover er nicht ziert, bietet mehr als einmal Stellen, in denen es weit über eine Minute ohne irgendeinen Ton des charismatischen Frontmannes zugeht. In dieser Zeit bekommt man sehr viel von Linde aka. Lizzy Laser zu hören, der sich vom Statisten zum zweiten Hauptdarsteller gemausert hat. Höhepunkt seines Schaffens ist ganz klar sein Part am Ende von „The Path“, wo er sein Können endlich gebührend unter Beweis stellen darf. Teilweise erinnert mich sein Spiel sehr an Jimi Hendrix, der zu Linde’s großen Vorbildern zählt. Selbstredend ist das ganze bei weitem nicht so revolutionär wie es bei Hendrix der Fall gewesen ist, für HIM ist es trotzdem Neuland und meilenweit von Musik entfernt, die bewusst auf kommerziellen Erfolg abzielt. Außerdem noch wird mit vereinzelten Elektrosamples und gar einem Dudelsack rumprobiert. Was ich persönlich interessant finde ist der Einfluss anderer Bands: An manchen Stellen fühlt man sich an Black Sabbath erinnert, Linde’s Ähnlichkeiten mit Jimi Hendrix erwähnte ich gerade bereits, und Metallica tauchen auch zweimal auf, wenn man so will: In „Buried alive by Love“ findet sich folgende Textzeile: „If I die before I wake pray no one my soul to take“, worin ich eine Anspielung auf „Enter Sandman“ sehe, zudem hat man sich im Bezug auf das Intro von „Endless Dark“ wohl recht oft das Outro von „Nothing else matters“ angehört. Tun wir das einfach mal als kleines Tribut ab ;-)

Schade ist lediglich, dass die Qualität der Songs auf dem zweiten Teil der CD ein wenig nachlässt, bedenkt man aber, dass die Songs 1 bis 5 eigentlich alle irgendwo zwischen sehr gut und Killer-Status anzusiedeln sind, ist das weitaus weniger tragisch, da es immer noch gute Songs sind. Nur „This Fortress of Tears“ ist wieder so ein Fall, wo man aus einem verdammt geilen Intro nicht das rausgeholt hat, was man im weiteren Verlauf noch hätte rausholen können. Auch „The Path“ wird von König Linde gerettet. Der Bonustrack „Love’s Requiem“ ist nun auch kein Knaller, da es jedoch nur eine Zugabe ist mag ich da ein Auge zudrücken. Bezüglich den Bonus-Sachen lässt sich noch sagen, dass es erfreulich ist, dass man das „Buried alive by Love“-Video ohne Probleme auf die Festplatte ziehen und sich so immer wieder anschauen kann. So etwas hat sich in letzter Zeit nicht wirklich als Selbstverständlichkeit erwiesen.
Alles in allem bleibt zu sagen, dass das Experiment „Love Metal“ absolut geglückt ist und HIM wieder eine Band mit Zukunft sind. Hätte man die oben besagten Mängel nicht mit reingenommen und vielleicht ein, zwei Tracks im Stil des Openers mehr reingebracht, wäre eine noch höhere Wertung hier die einzig logische Konsequenz gewesen. So reicht es dazu leider nicht ganz. Trotzdem eine sehr feine Scheibe!

Wertung: 8 / 10

Geschrieben am 5. April 2013 von Metal1.info

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