Ein Mann steht an der Mauer und fühlt sein Magengeschwür wachsen. Verächtlich starrt er in den Nebel, der schwer in einem Ostberliner Hinterhof hängt. Seufzend schnippt er seine Kippe in eine Pfütze. Alles zu kalt, zu grau, zu lieblos. Nirgendwo Sinn. Überall Scheiße. Die deutsch-australische Formation HEADS., ansässig in der Spreemetropole, beschwört auf „Push“ noch immer die Bilder herauf, die bereits das Debüt „Collider“ vor zwei Jahren so erfolgreich zeichnete. Der kalte, lärmende, passiv-aggressive Post-Punk haut dem Hörer im Maschinenpuls der Stadt in die Fresse, hält ihn gefangen im kalten Herz des Molochs.
Die zehn hier enthaltenen Songs sind bei einer Gesamtspielzeit von knapp 36 Minuten keine Sekunde zu lang geraten und bringen nochmals kompakter auf den Punkt, wofür HEADS. stehen. Das ist eine Rhythmusfraktion, die in stoisch gelassener Gewalt alles Leben an die Wand drückt. Nic Stockmann am Schlagzeug entlockt den Fellen schwere, oft schleppende Grooves, die jeder Stoner-Combo zur Ehre gereichen würden. Das ist Chris Breuers Bass, der so klingt, wie The Cures Simon Gallup wohl klänge, würde ihn jemand einige Jahre lang in eine Industrieruine sperren und dort mit Koks und kaltem Kaffee ernähren. An eine ähnlich zerstörerische Diät lässt auch die Stimme des Frontmanns Ed Fraser denken, der schnoddersingt wie ein angepisster, übermüdeter, depressiver Michael Gira (Swans) auf dem Weg zum erlösenden Strick. Auch Frasers Gitarrenspiel ist dem Dissonanten zugeneigt, greift mit Vorliebe zum verminderten, zum sich reibenden Intervall. Und doch ist gerade die Gitarre das Element, das ab und zu den wolkenverhangenen Großstadthimmel aufreist und einen Post-Rock-Silberstreif an den Horizont malt. Schon ein ungetrübter Dur- oder Moll-Akkord hört sich im scharfen Kontrast zu den dräuend lärmenden Disharmonien an wie ein plötzlicher Einbruch fast sakraler Schönheit.
Und so entwickeln die Songs auf „Push“ trotz ihrer von nihilistischer Lustlosigkeit geprägten Attitüde eine interessante Dynamik, die die Platte auch nach mehreren Durchläufen noch zu einem lohnenswerten Hörerlebnis macht. So steuert „Weather Beaten“ mit treibendem Bass unvermeidlich auf einen Noise-Rock-Sturm zu, der schließlich mit flirrenden Gitarren und intensivem Drumming hereinbricht. Auch „Loyalty“ beginnt heftig und basslastig, doch die zweite Hälfte des Songs verwenden die Musiker einzig darauf, sich immer weiter zurückzunehmen und die Nummer schließlich ersterben zu lassen. „Rusty Sling“ kann mit seinen introvertierten Post-Rock-Gitarren bestens anschließen. „Nobody Moves & Everybody Talks“ bietet Kontrastprogramm und rotzt in bester Killing-Joke-Manier zügig voran. Zu sowas tanzen zynische Großstadt-Cowboys. Dass „Paradise“ seinem Titel inhaltlich entgegenstrebt, ist da geradezu müßig zu erwähnen. Auch hier lassen sich die Musiker nach einem kraftvollen Beginn gut 2,5 Minuten Zeit, um ihren Song langsam zu ersticken.
Ästhetisch sind die rockigeren Momente der Swans nicht weit. Nur zu gut passt es da, dass auf „Push“ deren Lap-Steel-Gitarrist Kristof Hahn zu hören ist. Auch für den Sound haben die HEADS. bekannte Namen verpflichtet. Produziert hat die Scheibe Kadavar-Schlagzeuger Christoph Bartelt, für Mix und Mastering zeichnete Cult-Of-Luna-Drummer Magnus Lindberg verantwortlich. Beide haben hier einen tollen Job abgeliefert, verleihen den Noise-Wällen der Band eine imposante Wucht, ohne die instrumentalen Feinheiten im Getöse zu ersticken. Wer bereits das Debüt der HEADS. mochte, sollte also auch bei „Push“ wieder zugreifen: Die neue Scheibe folgt dem quasi identischen Rezept, kommt dabei aber sogar noch ein wenig zielstrebiger auf den Punkt. Wer die Berliner noch nicht kennt, sollte das, eine Vorliebe für noisigen Post-Punk vorausgesetzt, schleunigst nachholen. Besserer Rock für Stadtneurotiker wird derzeit wohl kaum zu finden sein.
Wertung: 9 / 10