Cover-Artwork des Albums „Memento Vivere“ von Haven Of Echoes

Review Haven Of Echoes – Memento Vivere

Mit ihrem Debütalbum „The Indifferent Stars“ präsentierten HAVEN OF ECHOES vor zwei Jahren ein Kleinod für Freunde atmosphärisch packender, emotionaler Rockmusik. Mit „Memento Vivere“ legen Instrumentalist Andreas Hack (Feeling Of Presence, ex-Frequency Drift) und Sänger Paul Sadler (Spires) nun ihr Zweitwerk vor, das sich mit Vergänglichkeit und der Erkenntnis unserer eigenen Sterblichkeit beschäftigt. Und obwohl die Platte stilistisch die Linie des Erstlings weiterführt, ist dieses Mal doch einiges anders.

Dominierten auf dem Vorgänger – mit Ausnahme des Abschlusstracks „Let Them In“ – eher kürzere Songs, so haben sich HAVEN OF ECHOES diesmal ganz klar den Longtracks verschrieben. In den 48 Minuten des Albums finden gerade einmal vier Lieder Platz. Zwei davon sind acht Minuten lang, die anderen beiden zwischen 14 und 17 Minuten. Das lässt viel Raum für ausufernde Arrangements und kommt dem atmosphärischen Grundkonzept der Band sehr zugute.

Der Opener „Non Sum, Non Curo“ ist zugleich das längste Epos der Scheibe, und es ist ausdrücklich als Kompliment zu verstehen, dass dieser Song deutlich kürzer erscheint. Hier spielt die Band all ihre Stärken aus: dichte Atmosphäre, abwechslungsreiche Arrangements, Hartes und Zartes, schöne Sounds und jede Menge Melodien, die sich im Ohr festsetzen. Vielleicht nicht beim ersten, aber beim zweiten Hören. Dann bleiben sie Dauergäste und nutzen sich nicht ab. Sänger Paul Sadler agiert sehr ausdrucksstark und vielseitig, brilliert vor allem in den ruhigeren, sehr emotional vorgetragenen Passagen. Den markigen Rock-Shouter kann er auch, wirkt dabei aber deutlich angestrengter und weniger natürlich. Trotz der vielen unterschiedlichen Parts ist „Non Sum, Non Curo“ ein großes, rundes Ganzes. Sehr gelungen.

„Ad Infinitum“ wurde wie schon „The Lord Giveth…“ auf dem Vorgänger von Gastmusikerin Nerissa Schwarz geschrieben. Sie arbeitet schon seit vielen Jahren mit Andreas Hack zusammen und ist Kennern von Andreas’ letzter Band Frequency Drift bereits durch ihre extravaganten E-Harfen-Sounds bekannt, die maßgeblich zum dichten Klangbild von HAVEN OF ECHOES beitragen. Auch Frequency-Drift-Drummer Wolfgang Ostermann ist wieder mit von der Partie und findet mit seinem variantenreichen und akzentuierten Spiel immer den richtigen Ton für ruhige wie energetische Passagen.

Spätestens nach „Ad Infinitum“ wird klar, warum die Musik der Gruppe so gut funktioniert: Zum einen ist sie experimentierfreudig und erstaunlich unvorhersehbar, was heutzutage im Prog, Post-Rock oder überhaupt in der Gitarrenmusik sehr selten ist; zum anderen werden die verschiedenen Stimmungen durch Paul Sadler und seine einprägsamen Gesangslinien wunderbar zusammengehalten.

„It Walks Among Us“ ist düster und schwermütig, entwickelt sich weniger sprunghaft als der Opener und hat eine beachtliche Sogwirkung, die dem Titel Nachdruck verleiht. Da dürfen dann auch majestätische Orchester-Arrangements oder elektronische Parts, die an Depeche Mode erinnern, nicht fehlen.

„Memento Vivere“ ist alles andere als ein fröhliches und optimistisches Album, auch wenn immer wieder Lichtblicke eingestreut werden. Daran ändert auch der Abschlusstrack „Assimilation“ nichts, dessen einprägsamer Ausklang in Gestus und Melodieführung an „Endtime“ vom ersten Album erinnert. Sänger Paul Sadler erzählt über den Song: „In diesem Track versuche ich zu zeigen, dass vielleicht in allem, einschließlich unseres eigenen Todes und dem Tod derer um uns herum, ein positiver Aspekt steckt, denn dadurch, dass wir sterblich sind, erhält die begrenzte Zeit, die uns gegeben ist, ein Gefühl der Dringlichkeit und Sinnhaftigkeit.“

Mit „Memento Vivere“ sind HAVEN OF ECHOES 48 sehr eindringliche Minuten Musik gelungen. Musik, die sehr eigenständig und durchdacht ist – und sich nicht wirklich um Genre-Zuordnungen schert. Fans von Marillion oder Riverside finden hier ebenso Anknüpfungspunkte wie Menschen, die Pain Of Salvation, Anathema, Leprous oder Ulver mögen. Für jeden gibt es genug Vertrautes und gleichzeitig vieles, das dazu einlädt, die eigene musikalische Komfortzone zu verlassen. Kann man Musik ein schöneres Lob aussprechen?

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Wertung: 9 / 10

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