Review Haggard – Tales Of Ithiria

Ganz ohne Zweifel gehören HAGGARD zu den größten und bekanntesten Bands des Symphonic Metal-Sektors – mit „Awaking the Centuries“ und „Eppur si muove“ hat das Kammerorchester rund um Denker und Lenker Asis Nasseri bereits zwei Alben (und nach dem ersten schon eine Live-DVD) in der Diskographie, für die andere Musiker sicher ihre Seele verkaufen würden, um ihre Erschaffung sich selbst zuschreiben zu können. Nach „Eppur si muove“ dauerte es geschlagene vier Jahre, bis Nasseri, immer wieder durch Rückschläge aller Art und großen Perfektionismus im Zeitplan zurückgeworfen, das neue Werk mit dem Titel „Tales of Ithiria“ schließlich fertigstellen konnte; immer wieder wurde verschoben, vertröstet und gelitten (von den verzweifelt wartenden Fans), doch nun ist es endlich geschafft: Die Scheibe mit den Geschichten aus dem fiktiven Land Ithiria ist im Handel.

Ich kann mir durchaus vorstellen, dass bei manchen die Augäpfel schon einen halben Meter aus den Höhlen getreten sind, einige werden es vielleicht auch schon wissen – HAGGARD haben den Pfad des Erzählens über berühmte Persönlichkeiten der Weltgeschichte verlassen; nicht mehr Nostradamus oder Galilei, sondern Edris, Hammar, Sveldja oder Grimmbart heißen nun die Protagonisten, wenn ich dem überschwänglichen Promozettel glauben darf. Offenbar aus der Bestrebung, neue Wege zu gehen, erdachte Asis Nasseri eine eigene Geschichte, die sich um Gut und Böse dreht und angeblich aufzeigen will, dass die Grenzen zwischen beiden nicht immer so klar gezogen werden können. Klingt ja aufregend. „Der Kampf zwischen Gut und Böse“? Im Ernst? Unorigineller wäre wohl wirklich nur ein Romeo-und-Julia-Konzept gewesen.
Leider liegen mir die Texte der eigentlichen Lieder nicht vor, sodass ich nicht beurteilen kann, wie sehr meine Befürchtungen (ich erinnere hier an den „Großen Streithammer des Klischees“ aus meiner Iron Fire-Rezi) bestätigt werden; doch dafür reichen auch schon die vier Erzählparts, die zwischen den Kapiteln, in die „Tales of Ithiria“ eingeteilt ist, eingestreut sind. Als Erzähler konnte man Mike Terrana, den halblegendären Drummer von Rage, gewinnen; das klingt vielleicht auf dem Papier ganz gut, aber wenn ich seine Erzählkünste etwa mit denen von Orson Welles (Manowars „Dark Avenger“) vergleiche, stinkt er mit seinem Amerikano-Englisch ganz klar ab. Aber vielleicht liegt es auch einfach an dem, was der gute Mike hier vorlesen muss – allein das Intro ist schon so kitschig und mit Fantasyklischees vollgestopft wie alle Filmproduktionen aus dieser Richtung der letzten zehn Jahre zusammen, und spätestens bei „From Deep Within“ (erinnert mich so an Dungeon Siege) beginne ich mich unter der Last der geballten Stereotypen zu krümmen.
Mensch, Asis, warum tust du mir das an? Warum hast du den historischen Pfad verlassen und bist ins Dickicht der Fantasygeschichten eingestiegen? Selbst auf dem Promozettel wird der Herr Nasseri noch zitiert, er hätte noch viele Ideen für Alben basierend auf tatsächlichen Personen gehabt. Warum, in drei Gottesnamen, musste er – anscheinend nur um der Veränderung willen – sich diese Geschichte hier ausdenken? Sicher werden nicht alle so empfinden, und einigen wird dieser Aspekt von HAGGARD auch volle Elle am Poppes vorbeigehen, aber aus meiner Sicht ist diese konzeptionelle Exkursion in die Fantasie ein zielgenauer Schuss in den Ofen.

Meist ist es allerdings eh sehr schwer, die Texte ohne schriftliche Kopie zu verstehen, daher bleiben die eigentlichen Songs von der eben beschriebenen Misere fast gänzlich unberührt. Und auch wenn ich jetzt eben das Konzept von „Tales of Ithiria“ in Grund und Boden geschrieben habe – musikalisch sind HAGGARD immernoch eine Klasse für sich, was Symphonic Metal angeht. Zwar ist die reine Spielzeit mit 36 Minuten (ohne Erzählpassagen und das rein klassisch instrumentierte Zwischenspiel „In des Königs Hallen“) relativ kurz bemessen, doch dafür haben es die Lieder wieder gewaltig in sich.
Ihren feinen, ausbalancierten und in den E-Gitarren-Passagen auch wuchtigen Klang haben sich HAGGARD von der „Eppur si muove“ glücklicherweise mitgenommen. So groß die konzeptionelle Änderung auch gewesen sein mag, im musikalischen Kern sind HAGGARD immernoch HAGGARD – zum Glück! Wieder haben die Musiker Songs in mehreren Sprachen (spontan konnte ich Deutsch, Latein, Englisch und Spanisch ausmachen) geschaffen, die zwischen „solide“ und „wirklich klasse“ rangieren. Asis kann immernoch ordentlich grunzen und hat sich auch wieder tolle Riffs und Kompositionen für das aus Streichern, Bläsern und Trommlern bestehende Kammerorchester aus dem Ärmel geschüttelt; außerdem hat er sich sein Gespür für herrliche Melodiebögen und Gänsehautmomente bewahrt, man höre nur den Beginn des zweiten E-Gitarren-Teils von „Chapter I…“ oder die mehrstimmigen Gesänge in „Chapter V…“ – immer wieder gibt es diese Passagen, in denen man vor Freude hüpfen möchte, weil sie kompositorisch einfach so perfekt gelungen sind. Was ich hingegen vermisse, ist ein Lied vom Kaliber „Per Aspera Ad Astra“, das mit bestechender Einfachheit (für HAGGARD-Verhältnisse) nach vorne geht und einfach von vorne bis hinten Spaß macht; die Kapitel von „Tales of Ithiria“ besitzen ohne Ausnahme recht ausgedehnte und ein wenig langatmige Passagen, in denen außer ein wenig klassischer Instrumentierung und cleanem bzw. klassischem Gesang nichts zu hören ist – dadurch verliert die ganze Sache etwas an Schwung. Das Cover des iberischen Folklore-Liedes „Hijo de la Luna“ ist zwar recht gelungen, aber, passend zum Rest, etwas lahm geraten.

Was kommt hier nun am Ende raus? Nichts Überragendes, so viel ist klar. Das Konzept von „Tales of Ithiria“ ist in meinen Augen misslungen; anstatt eine historische Persönlichkeit musikalisch ins Rampenlicht zu stellen, hat sich Asis Nasseri aufs erzählerische Glatteis gewagt und versucht, neue Wege zu gehen – von der Absicht her sicherlich löblich, von der Umsetzung her (klischeehaft und wenig originell) leider mangelhaft. Musikalisch sind HAGGARD aber immernoch große Klasse, auch wenn „Tales of Ithiria“ bisweilen ziemlich langatmig ist und im Vergleich zum Vorgänger definitiv den Kürzeren zieht. Wer sich eh nicht für Texte interessiert und dabei am besten noch die Erzählpassagen überspringt, dürfte mit diesem Album auf jeden Fall ein zufriedenstellendes Werk in den Händen halten – ich persönlich bin jedoch etwas enttäuscht, dass man vier Jahre für dieses Album gebraucht hat. Summa summarum post intraspecularum:

Wertung: 6 / 10

Geschrieben am 6. April 2013 von Metal1.info

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