Das Prog-Genre ist allgemein dafür bekannt, dass es die üblichen, aufsehenerregenden Rockklischees meistens links liegen lässt und dafür die Musik sprechen lässt. Was ist schon Aufsehenerregendes passiert, was im Rock-Boulevard von Interesse gewesen wäre? Nach dem Ableben von Genesis und Camel, fällt mir da eigentlich nur noch die Trennung von Neal Morse und Spock’s Beard ein, die viele Progfans doch geschockt haben dürfte. Drogengeschichten, abenteuerliche „On The Road“-Erzählungen, so was scheint es im Prog-Business nicht zu geben; oder zumindest interessiert es niemanden. Eine letzte Sache ist dennoch insbesondere in den letzten Jahren in die Mode gekommen: Die Bildung sogenannter Supergroups, Zusammenschlüsse bekannter Progmusiker zu neuen Projektbands, wie etwa Transatlantic, The Tangent, Kino, Frost, und Explorers Club. Musikalisch sind diese Projekte oftmals tatsächlich über jeden Zweifel erhaben.
Aber was hat das alles mit GPS zu tun? Hm, genaugenommen gar nicht mal viel. Nun ist es natürlich nicht so, dass es damals, in den guten alten Zeiten, nicht auch schon solche Supergroups gegeben hätte. Asia war zum Beispiel eine davon. Eine Symphonic-Pop-Prog-Gruppe, bestehend aus John Wetton (ex-King Crimson), Geoffrey Downes (ex-Yes), Steve Howe (Yes) und Carl Palmer (ex-ELP), die auch kommerziell mit Hits wie „Heat Of The Moment“ erfolgreich war. Leider zerbrach diese Bandbesetzung nach einiger Zeit. Keyboarder Downes reagierte und holte sich mit John Payne einen neuen Bassisten und Sänger, um das Projekt zu retten. Immer noch keine Ahnung, was das alles mit GPS zu tun hat? Lest mal die Besetzungsliste dort oben. Genau, John Payne ist bei GPS an Bord. Ebenso der Asia-Gitarrist Guthrie Govan. Die Keyboards übernimmt niemand geringeres als Ryo Okumoto, seines Zeichens einziger verbliebener Keyboarder bei den ehemaligen Prog-Heroes Spock’s Beard. Tja, nur der gute Downes fehlt. Warum?
„Mr. Keyboard“ dachte sich, er könne einfach mal wieder ein paar Konzerte in der ursprünglichen Asia-Besetzung mit Howe, Palmer und Wetton geben, da Asia dieses Jahr ihr 25-jähriges Bestehen feiern. Versteht ihr, so ein bisschen alten Ruhm genießen und den Rockboulevard aufmischen. Klar, dass John Payne da nicht mitmacht und sein eigenes Ding durchzieht.Meine bescheidene Vermutung: Wir hören hier nichts anderes, als ein neues Asia-Album, eben nur, dass es unter anderem Namen erscheint. Zwar taucht Downes (logischerweise) nicht in den Songwriting-Credits auf, dennoch liegt der Verdacht natürlich nahe. Und nachdem man die zehn neuen Tracks auf „Window To The Soul“ ein paar Mal gehört hat, bestätigt sich der Verdacht im Grunde. Denn so weit ist es, rein musikalisch, von den letzten Asia-Werken bis zu „Window To The Soul“ nicht. Immer noch herrscht recht melodiöser, eingängiger MelodicRock mit teilweise hübschen Refrains, gelegentlichem Bombast und solider Handarbeit vor. Viele der Songs kommen dem Asia-Hörer in ihrer Machart doch recht bekannt vor, was an den typischen, ausgelatschten Gesangsarrangements liegt – und an dieser unnachahmlichen Sanftheit, die neuere Asia-Musik immer inne hatte. Schon ein Blick auf die Songtitel verrät, dass hier nichts revolutionär Neues erwartet werden darf. Und doch gibt es, Gott sei Dank, einen entscheidenden Unterschied zu Asia: Neben dem üblichen, immergleichen Standard-Songschema gibt es tatsächlich in vielen Songs ausgedehnte Instrumentalparts, die einen deutlich virtuosen und progressiven Anstrich tragen. Deutlicher, als er jemals bei Asia war. Ryo Okumoto und Guthrie Govan reißen hier einiges raus und füllen damit eine musikalische Lücke, die ich bei Asia immer wieder entdeckt habe. Hier wird einfach gute, anspruchsvolle Rockmusik dargeboten, die zwar keineswegs frei von Klischees und auch durchaus stark in den 80ern verwurzelt ist, aber das ist ja nichts, was zu verurteilen wäre. Ein größeres Problem ist, dass sich diese progressiven Einsprengel in vielen Songs auch noch an genau derselben Stelle befinden, was die anfängliche Überraschung und Freude nach ein paar Hördurchgängen etwas mildert.
Insgesamt muss man aber sagen: GPS sind die besseren, da progressiveren Asia! „Window To The Soul“ ist ganz klar ein Pflichtkauf für Asia-Fans und steht dem letzten Asia-Album „Silent Nation“ in Nichts nach. John Payne hat in jedem Fall eine fantastische Stimme, die auch live sehr gut rüberkommt. Allen, die auf gepflegten MelodicRock mit solider Instrumentalarbeit stehen und dabei nicht allzu viel Dampf erwarten, sei „Window To The Soul“ ebenfalls empfohlen. Das Album ist keineswegs ein Meisterwerk, hat aber definitiv seine Zielgruppe, bei der es auch sehr gut ankommen wird.
Anspieltipps sind vor allem das fast neunminütige, bombastische „New Jerusalem“, die schöne Ballade „Written On The Wind“ sowie das das Album abschließende „Taken Dreams“. Warten wir also ab, was „Mr. Keyboard“ Geoffrey Downes mit seiner alten Mannschaft live rüberbringen wird. Vielleicht ärgert er sich irgendwann, diese Entscheidung getroffen zu haben, und wäre hier doch gern dabei gewesen.
Wertung: 7 / 10