Oktober 2012

Review Godspeed You! Black Emperor – Allelujah! Don’t Bend. Ascend.

Man muss es einfach so sagen: Post Rock im Jahr 2012 ist ungefähr das, was Emo vor einigen Jahren war. Während in den letzten Jahren eine scheinbar nicht enden wollende Flut an (häufig leider nur mittelmäßigen) Veröffentlichungen erschien, die die Verbindung zwischen melancholischen Melodien und altbekannten Laut-leise-Schemata bis zum Überdruss ausreizte, zeigt sich nun immer mehr, dass nur noch die „großen“ Bands aus diesem Genre Bestand haben. Da diese Bands, wie Explosions In The Sky, Mogwai oder Caspian allerdings alle bereits länger dabei sind, beginnt auch hier allmählich eine Übersättigung einzutreten. Post Rock hat sich scheinbar totgelaufen, kann nichts wirklich Neues mehr erzählen und kann vor allem kaum noch überraschen. Diese getragene Musikrichtung scheint in einer immer schnelleren und extremeren Zeit, in der auch die Musik immer extremere Formen annimmt (man nehme als Beispiel die Begeisterung für extremen Hardcore, aufgeblasenen Dubstep oder überbordende Chart-Musik) einfach zu behäbig zu sein.

Or so it seemed. Bis im Internet Anfang Oktober das Gerücht die Runde machte, dass auf den Merchandisetischen des Konzerts in Boston der seit zwei Jahren wiedervereinigten Post-Rock-Legende GODSPEED YOU! BLACK EMPEROR ein neues Album gesichtet wurde und kurz darauf die Ankündigung folgte, dass dieses Album knapp zwei Wochen später erscheinen würde. Was folgte, war ein kollektiver Aufschrei in diversen Internetforen, im Vorfeld ausverkaufte Vorbestellungen beim kanadischen Kultlabel Constellation Records, Berichterstattungen in allen Medien – und die Enttäuschung einiger Fans, dass neben zwei Drone-Stücken „nur“ Studioversionen zweier bereits vor der Bandpause gespielter Songs enthalten sein würden. Diese „Enttäuschung“ ist allerdings vollständig unbegründet: GODSPEED YOU! BLACK EMPEROR lassen mit „’Allelujah! Don’t Bend. Ascend“ alles, was seit ihrer Auflösung in diesem Genre veröffentlicht wurde, meilenweit hinter sich.

Eröffnet wird das erste GODSPEED-Album seit zehn Jahren mit „Mladic“, welches in alten Liveaufnahmen noch den Titel „Albanian“ trug. Nach einem kurzen Sample einer Notruf-Hotline schleichen sich langsam dissonante Streicher und dröhnende Basswände heran, welche vor dem inneren Auge schwarze Rauchschwaden über verbrannten Boden wehen und eine schwache Sonne hinter dunkelgrauen Wolken erkennen lassen. Schließlich erklingt ein Rhythmus, der an eine beschleunigte Warnung an einem Bahnübergang erinnert – der Zug ist allerdings noch nirgends zu sehen. Das Schlagzeug steigert sich immer weiter, man meint bereits den Rauch der Eisenbahn zu erblicken, bis es plötzlich leiser wird – nur um schließlich gemeinsam mit verzerrten Gitarren einen ersten Anklang von Melodie und Struktur zu präsentieren. Plötzlich schießt der Zug heran, das Schlagzeug poltert in einen treibenden Rhythmus über und die geradlinigen, stark verzerrten Gitarren in Verbindung mit Tempo eröffnen das bisher härteste Stück Musik der Band aus Montreal.

Wer allerdings denkt, dass hiermit schon alles gesagt wäre, irrt gewaltig. Der Lärm wird plötzlich durch eine arabische Melodie unterstützt, zügelt kurz die Dynamik, nur um den Hörer schließlich zu packen und mit verbundenen Augen in einen Wirbelsturm zu stoßen, der stetig an Geschwindigkeit und Energie zunimmt. Schließlich lässt das Tempo nach, eine epische Melodie erklingt, eine einsame Geige legt sich über das Feedback, nur um immer wieder von den restlichen Instrumenten niedergerissen zu werden. Schließlich scheint die Orientierung wiedergefunden, bis nach einem gewaltigen Dröhnen plötzlich noch einmal der heiße Stahl durchs Gesicht gezogen wird und eine Aufnahme von geschlagenen Kochtöpfen auf einer antikapitalistischen Demonstration in Montreal den Song ausklingen lässt.

Das anschließende „Their Helicopter’s Sing“ kann als eine dröhnende Noise-Wand beschrieben werden, die von schiefen Tönen aus Dudelsäcken und Drehleiern zerrissen wird. Als Verbindung zwischen den zwei großen Songs werden hier die Folgen des Wirbelsturms aus „Mladic“ ergänzt. In seiner Unschärfe entsteht hier vor dem inneren Auge das Bild einer vollkommen zerstörten Welt: Durch Atomwaffen verseuchte Seen, tote Bäume, aufgesprungene Erde, abgenagte Skelette, Kleidungsfetzen, Müll – eine Vertonung absoluter Orientierungslosigkeit und kaum auszuhaltender Tristesse. Das permanente Zirpen sowie das kratzende Geräusch, welches den Song durchzieht, trägt einen eklatanten Teil zu dieser Stimmung bei.

„We Drift Like Worried Fire“, der dritte Song und das zweite große Epos auf diesem Album, erstreckt sich ebenfalls über gut zwanzig Minuten und erinnert eher an ältere Songs der Band, da er durch einzelne Segmente strukturiert erscheint und nicht derart nach vorne ausbricht, wie es „Mladic“ tut. Eingeleitet von sägenden Streichern zieht auch hier eine düstere Bedrohung auf. Eine sehnsüchtige Melodie arbeitet sich nur ganz langsam und in Auszügen an die Oberfläche vor, bis die Gitarren schließlich übernehmen und der Song allmählich an Struktur gewinnt. Streicher malen den Hintergrund orchestral an, bis die beiden Schlagzeuge den Song antreiben und glühende Verstärker eine Gitarre erklingen lassen, die an Emotionalität kaum zu überbieten ist. Die Zerstörung, welche bisher auf diesem Album vertont wurde, weicht hier allmählich dem Beginn eines Wiederaufbaus, bei den Einbrüchen von Schlagzeug und Gitarren scheinen die Wolken sich endlich zurückzuziehen und einige Sonnenstrahlen treffen auf verfallene Ruinen.

Der Trip ist hiermit allerdings nicht zu Ende, denn das scheinbar so versöhnliche Ende, welches schließlich in einer ruhigen, zutiefst melancholischen und hoffnungsvollen Passage mündet, wird plötzlich von düsteren Tönen in eine Dissonanz abgedrängt, welche die Wolken noch schwärzer erscheinen lassen als zuvor. Ein nahezu martialisches Schlagzeug treibt den Song immer weiter in seine dunkelsten Abgründe, die von brennenden Verstärkertürmen eingerahmt werden, durch welche sich dissonante Gitarrensägen fressen. Schließlich zieht das Tempo noch einmal an, ein weiterer Sturm kommt auf, der Wiederaufbau muss unterbrochen werden, man sucht Schutz, wo man nur kann. Wenn zum Schluss die hoffnungsvollen Gitarren zurückkehren und ein wahrlich episches Finale den Song ausklingen lässt, wird die Möglichkeit offen gehalten, dass in diesem ausgetrockneten Boden wieder etwas wachsen kann.

Dass dieser Aufbau noch einige Zeit in Anspruch nehmen wird, steht außer Frage. Im anschließenden „Strung Like Lights At Thee Printemps Erable“ ist zumindest der Wind verschwunden. Im Vergleich zu den tiefen Basstönen im ersten Drone-Stück dominiert hier ein hohes Summen, welches durch einzelne Feedback-Sounds eine wahre Schwerelosigkeit erzeugt. Ob der Sturm wirklich vorbei ist, oder ob dies nur die Ruhe im Auge des Tornados darstellt, ist ungewiss. Für einen Moment zumindest ist hier absolute Stille erreicht, es gibt nichts Greifbares mehr, nur noch vage Schemen, die sich immer wieder verschieben.

GODSPEED YOU! BLACK EMPEROR waren schon immer mehr als nur eine Band, waren (und sind) vielmehr ein anarchistisches Kollektiv, welches sich mit seiner instrumentalen Musik als Kunstprojekt versteht, was sich im Live-Setting in Projektionen wiederfindet, die mit vier Projektoren gleichzeitig live übereinander gespielt werden. Dieses Gesamtkonzept ist in seiner Dichte schon in der bisherigen Diskographie durch eine düstere Stimmung gekennzeichnet.
So ist auch die Atmosphäre, die auf diesem Album sowohl in den einzelnen Stücken, als auch das gesamte Album über aufgebaut wird, mit „apokalyptisch“ noch verharmlosend umschrieben und sucht in der Musikwelt ihresgleichen. Die Band aus Montreal hat sich dazu entschieden, die losen Strukturen ihrer frühen Songs mit der Geradlinigkeit ihres (nun vor-)letzten Albums „Yanqui UXO“ zu kombinieren. Auch wenn die Klasse ihrer überragenden früheren Veröffentlichungen nicht ganz erreicht wird, ändert dies nichts daran, dass mit „’Allelujah! Don’t Bend. Ascend.“ ein weiteres fabelhaftes Post-Rock-Album vorliegt.

Mit dieser Rückkehr zeigen GODSPEED YOU! BLACK EMPEROR, dass auch instrumentale Musik einen politischen Anspruch besitzen kann, und machen darüber hinaus klar, warum Post-Rock jemals eine Berechtigung hatte und auch weiter haben kann: Live präsentiert die Band mit dem 45-Minuten-Song „Behemoth“ bereits neues Material. All hail the returned king.

Wertung: 9.5 / 10

Publiziert am von

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert