Das Cover von "Coma" von Gaerea

Review Gaerea – Coma

  • Label: Season Of Mist
  • Veröffentlicht: 2024
  • Spielart: Black Metal

Behemoth laufen auf Arte und über den Gründungsmythos von Mayhem gibt es einen Kinofilm: Black Metal ist längst „Mainstream“ … nicht nur innerhalb der Metal-Szene. Nun scheint Phase II angebrochen: Immer häufiger bemerkt man, dass junge Nachwuchsbands ihre Vorbilder längst nicht mehr nur im Black Metal suchen. Ein Beispiel sind Kanonenfieber, die sich in Sachen Show von den ganz großen der Metal-Szene inspirieren lassen, und ihre düsteren Lyrics über Krieg und Tod fast filmreif präsentieren, während die Songs vor allem auf Eingängigkeit und Massenkompatilität abzielen. Aber auch am Beispiel von GAEREA lässt sich Ähnliches feststellen.

Ernsthaft „böse“ oder gar „satanistisch“ ist bei GAEREA natürlich gar nichts – dafür gibt es bildgewaltige Videos, einprägsame Bühnenkostüme und Musik, die auch gar nicht darauf abzielt, bloß ein paar grimmig dreinschauende Misathropen abzuholen. Vielmehr richtet sich das Angebot von GAEREA klar an ein breites Publikum. Das lässt sich nicht nur an der enormen Bandbreite an T-Shirt-Motiven ablesen. „Coma“, dem nunmehr vierten Album, das Bandkopf Guilherme Henriques unter dem GAEREA-Banner geschaffen hat, kann man diese Entwicklung in jedem Takt anhören. Und doch ist daran nichts verwerflich. Denn vorneweg: Mit „Coma“ ist GAEREA eines der stärksten Alben des Jahres gelungen.

Zu diesem Schluss könnte allerdings auch kommen, wer mit Black Metal rein gar nichts am Hut hat. Denn blendet man das Drumherum aus, die Optik und das bisherige Schaffen, ist „Coma“ auf einmal gar nicht mehr so eindeutig Black Metal wie man vielleicht denken könnte: Schon der brachiale Einstieg nach kurzem Cleangitarren-und-Klargesangs-Intro lässt eher an die Post-Hardcore-Band Celeste aus Frankreich denken denn an alles, was in irgendwelchen skandinavischen Hütten geschrieben wurde. Und das ist erst der Anfang.

Mit seinem monumentalen Sound erinnert „Coma“ mehr als nur flüchtig an Metalcore oder Deathcore – eine Parallele, die auch musikalisch nicht abwegig ist: So brachiale Gitarrenwände, kombiniert mit fast schon kitschigen Melodien, produktionstechnisch maximal effektiv mit Chören und allerlei anderen Effekten unterfüttert, findet man sonst tatsächlich eher in den modernen Subgenres. Und auch der Gesang von Henriques, der seit der jüngsten Umstrukturierung seiner Band selbst singt, ist längst nicht mehr so eindeutig „Black Metal“ wie das Screaming von Ruben Freitas.

So schließt sich mit GAEREA vielleicht ein Kreis: Denn wie man etwa bei Lorna Shore (nicht nur in den Logos und T-Shirt-Motiven) immer wieder Anleihen aus dem Black Metal findet, gehen GAEREA den Weg quasi in umgekehrter Richtung: Hatten die US-Black-Metal-Bands ihre Vorbilder noch so klar in Skandinavien, dass dabei kaum Neues entstehen konnte, spielen GAEREA den Black Metal einer neuen Generation: „Coma“ bietet 50 Minuten voller Pathos und packender Melodien, Breakdowns und exzessiver Raserei – geschrieben für die große Show, nicht für düstere Clubs. Für Vertreter des unverwässerten Trve Black Metal mag das natürlich in etwa so attraktiv klingen wie für den Teufel das Weihwasser. Wer sich aber bereits auf diese neuen, auf ihre Art viel extremeren Bands eingelassen hat, oder eben sowieso über dieses Subgenre und gar nicht erst über den Black Metal an GAEREA herankommt, wird die Stärke dieser Kompositionen erkennen.

Dass die Songs bisweilen etwas arg auf Eingängigkeit getrimmt sind, jedwede denkbare Dissonanz einer geschmeidigen Tonfolge Platz machen musste und die Produktion zwar brachial, aber nicht im Ansatz „roh“, sondern glockenklar ist? Egal – solange man von GAEREA eben keinen Black Metal im eigentlichen Sinne erwartet. Bereits mit „Mirage“ hatten GAEREA weit über die Black-Metal-Szene hinaus für Aufsehen gesorgt. Mit „Coma“ hat sich die Band von sämtlichen Fesseln befreit, den Portugiesen steht nun die ganze Welt des Metals offen. Eine Tour mit Gorgoroth wäre genauso plausibel wie GAEREA als Support von Sleep Token. Dass ausgerechnet der Titeltrack stark an Behemoth erinnert, muss in diesem Kontext fast als schelmisches Grinsen verstanden werden. We see what you did there!

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Wertung: 9 / 10

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