Review Fotocrime – Heart Of Crime

Monatelang hat die COVID-19-Pandemie die Musikbranche beinahe vollständig lahmgelegt. Social Distancing, Betriebsschließungen und Reisebeschränkungen machten Konzerte, Recording-Sessions und Tonträgerveröffentlichungen für eine gefühlte Ewigkeit unmöglich. So blieb auch Ryan Patterson, dem Kopf des Post-Punk-Projekts FOTOCRIME, nichts anderes übrig, als seine Pläne ad acta zu legen und praktisch bei null anzufragen. Der Amerikaner, der seine Alben bis dahin stets mit anderen Musiker*innen und Produzent*innen aufgenommen hatte, nutzte den Lockdown, um sein Knowhow auszubauen und seine nächste Platte (nahezu) im Alleingang aufzunehmen und zu mixen. Die strapaziöse Vorgeschichte zu „Heart Of Crime“ vermag FOTOCRIME allerdings geschickt zu überspielen.

Tatsächlich klingt Pattersons Performance auf „Heart Of Crime“ so mühe- und makellos, als sei er es gar nicht anders gewohnt, als FOTOCRIME auf sich gestellt zu führen. Dabei macht der unfreiwillige Einzelkünstler im Zuge der 40-minütigen Platte beileibe nicht bloß schnöden Dienst nach Vorschrift. Anstatt sich in seinem Ausdruck auf gängige Post-Punk-Werkzeuge zu beschränken, verpasst der Multi-Instrumentalist seinem angestammten Genre in jedem Song einen gewitzten Twist. Patterson versteht sich vortrefflich darauf, mit tiefer, stoischer Stimme zu rumorenden Basslines, geradlinig treibenden Rhythmen und kühl perlenden Gitarren zu singen („Electric Café“), aber er kann noch viel mehr. Zum Beispiel Saxophon spielen, was sich vor allem (aber nicht nur) im stimmigen, wenn auch schlichten Solo in „Inferno Rebels“ zeigt.

Generell ist „Heart Of Crime“ eine wahre Fundgrube vermeintlich einfacher, jedoch niemals banal erscheinender Ideen. Wer sich nach trübsinnigem Gothic Rock verzehrt, wird sich in „Crystal Caves“ wie Zuhause fühlen, das wippende, in wehmütiger Nostalgie schwelgende „So So Low“ besticht mit seiner unverschämt poppigen Hook und in „Industry Pig“, dem härtesten Track der Platte, bekommt man von FOTOCRIME hämmernde Industrial-Beats und fette Riffs vor den Latz geknallt. Ein unruhiger Drumcomputer und schummrige Synthesizer und Gitarren verströmen in „Politi Policia Polizei“ die Paranoia eines Gesetzlosen auf der Flucht, im anfangs bluesigen, später elektronischen „Learn To Love The Lash“ gibt FOTOCRIME sich hingegen mit der Lässigkeit eines Nick Cave.

Dass „Heart Of Crime“ trotz all dieser Stilvariationen wie aus einem Guss ist, demonstrieren insbesondere das agile Titelstück und das EBM-inspirierte „Delicate Prey“, die sich ohne eine einzige Gitarrennote nahtlos in die Tracklist einfügen. Seine Kohärenz verdankt das Album aber auch der hervorragenden Produktion. Die Songs klingen glasklar, nuanciert und perfekt abgerundet, an passender Stelle wird der Sound auch mal verzerrt, gedämpft oder mit Hall versehen.

Die Frage nach den Highlights auf Pattersons Lockdown-Album lässt sich eigentlich nur mit einem Verweis auf die komplette Tracklist beantworten. Vom neugierig machenden Opener bis hin zur luftigen Synth-Pop-Nummer „Skinned Alive“ gibt es auf „Heart Of Crime“ nicht eine einzige Schwachstelle zu finden. FOTOCRIME hat damit ein so stilsicheres wie freigeistiges Werk geschaffen, das die Grenzen zwischen Post-Punk und allerlei artverwandten Genres verschwimmen lässt. Trotz all der interessanten Details und Gastbeiträge, mit denen der Solokünstler seine kompakten Songs gespickt hat, präsentieren sich die Tracks doch derart simpel und catchy, dass man sie tage-, ja sogar wochenlang nicht aus dem Kopf bekommt. Mit dem Wissen, dass es sich hierbei um Pattersons ersten Gehversuch als Produzent handelt, kann man vor dem Mann eigentlich nur voller Bewunderung den Hut ziehen.

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Wertung: 9 / 10

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