Dass manche Bands auf sozialer Ebene überhaupt funktionieren, grenzt an ein Wunder. Vor allem, wenn man vor Augen geführt bekommt, was für unterschiedliche Charaktere in einem solch fragilen Gefüge friedlich koexistieren. Zum Beispiel bei RAMMSTEIN.
Auf der einen Seite: Till Lindemann. Mit seinem Freund Joey Kelly unternimmt er eine abenteuerliche Kanufahrt auf dem Yukon und lässt sich dabei in Posen, die selbst Putins Anspruch an Männlichkeit Genüge tun dürften, ablichten. Garniert mit etwas Lyrik aus eigener Feder wird das Ganze als umfangreicher Bildband veröffentlicht.
Auf der anderen Seite: Christian „Flake“ Lorenz. Mit „Heute hat die Welt Geburtstag“ veröffentlicht er am gleichen Tag sein zweites biografisches Werk. Ein Werk, das an Bescheidenheit kaum zu überbieten ist und nicht nur einmal den Eindruck erweckt, dass schon das Touren mit RAMMSTEIN ihn bisweilen an die Grenzen seiner Abenteuerfreude bringt.
Eingeteilt in vier Kapitel, führt Flake den Leser abwechselnd aus Sicht des Musikers durch 24 Stunden im Touralltag der Band und, in Form eingeschobener Rückblicke, durch die Bandgeschichte der erfolgreichsten Rockband Deutschlands. Die drängendste Frage des RAMMSTEIN-Fans dürfte damit beantwortet sein: Ja, „Heute hat die Welt Geburtstag“ hat mehr Band-Bezug als dessen Vorgängerwerk „Der Tastenficker“, in dem der Name RAMMSTEIN erst auf den letzten Seiten kurz Erwähnung findet.
Als Berichterstatter leistet Flake dabei Großartiges. Das so unterhaltsam wie leicht verständlich geschriebene Buch bietet einerseits interessante Einblicke in die Abläufe und Mechanismen, die eine Band dieser Größe am Laufen halten. Etwa, dass zum Tourtross auch ein „Stromtruck“ gehört, der während der Show die ganze Bühne mit Strom versorgt, um das lokale Netz nicht an den Rande des Zusammenbruchs zu treiben. Andererseits gewährt es aber auch extrem persönliche Einblicke in die Abläufe vor, während und nach der Show: Flake nimmt seinen Leser mit ins Hotel, in den Shuttlebus und auf die Bühne, in Backstageräume und auf Hotelpartys. So liefert er dem Leser diesmal genau die unterhaltsamen Anekdoten, für den man eine Bandbiographie liest: Ein Intermezzo im Knast für die Performance von Flake und Till bei „Bück dich“, im Pool versenktes Hotel-Interieur, vollgepisste Bühnenhosen, gesprengte Fische und was man nicht noch alles in 24 Jahren bei RAMMSTEIN erlebt.
Doch Flake liefert mit „Heute hat die Welt Geburtstag“ weit mehr ab als bloß eine Bandbiographie mit Insiderwissen. Vielmehr gelingt es dem Keyboarder, die sonst eher unnahbaren RAMMSTEIN greifbar zu machen. Wer selbst in einer Band spielt, kennt Szenarien wie dieses: „Wir mussten wegfahren, sonst konnte es passieren, dass wir nie alle zusammen spielen würden, denn wenn in Berlin der Letzte zur Probe kam, ging der erste schon wieder. Zum Zahnarzt, zum Steuerberater oder zur Elternversammlung.“ Zu erfahren, dass es auch bei Superstars wie RAMMSTEIN nicht anders läuft, ist irgendwie beruhigend, hebt die Band vom hohen Podest der Rockstar-Truppe herunter und bringt sie auf Augenhöhe mit dem Leser. „Das sind ja auch nur ganz normale Menschen“, denkt man sich beim Lesen der 352 Seiten nicht nur einmal.
Ganz besonders gilt das für Flake selbst, der mit seiner Erzählweise und seinen im Buch dargelegten Gedanken das durch sein Debüt-Werk „Der Tastenficker“ gewonnene Bild seiner Person untermauert: Das Bild eines verschrobenen, aber ursympathischen Charakters, eines Menschen, der in der „bösen“ Band oft wie ein Fremdkörper wirkt („Je lustiger ich aussehe, desto böser wirken die anderen“) und selbst bei den Fans oftmals wenig Beachtung findet: „Bei einem Voting im Internet, bei dem nach dem beliebtesten RAMMSTEIN-Mitglied gesucht wurde, kam ich erst an sechster Stelle. Das ist bei sechs Leuten nicht so gut, aber einer muss ja der Letzte sein. Und da ist es schon besser, wenn ich das bin, denn ich tue so, als wäre es mir egal.“
Nicht: „Mir ist“, sondern „ich tue so“. Denn was für ein hochsensibler, aber auch humoriger Mensch Flake ist, kommt in Passagen wie der folgenden zum Vorschein: „Wenn ich [den Fernseher] erst einmal angeschaltet habe, gucke ich auch alles zu Ende, schon weil sich die Leute ja mit den Filmen und Sendungen so große Mühe gegeben haben, da wäre es mir unangenehm, das einfach mittendrin abzuschalten. Wenn ich Pech habe, lande ich dann bei Lanz oder so.“
In eine Rolle scheint er auf sympathische Art und Weise nie hineingefunden zu haben: Die des über die Stränge schlagenden Rockstars. „Dafür nehme ich jetzt aus den Hotelzimmern immer die Notizblöcke und die Kugelschreiber mit, denn da steht manchmal der Name der Stadt, in der wir gerade sind, drauf. Da habe ich dann später eine schöne Erinnerung an die Zeit mit der Band.“. Szenarien wie dieses kennt schließlich jeder aus dem eigenen Leben – sieht man freilich von der Sache mit der weltbekannten Rockband ab.
Mag eine Kanu-Tour auf dem Yukon auch das spektakulärere Unternehmen sein – das für RAMMSTEIN-Fans relevantere Buch ist ohne Frage das unscheinbarere „Heute hat die Welt Geburtstag“. Denn während der fulminante Bildband „Yukon“ den Mythos des unnahbaren, heldenhaften Rockstars untermauert, der unentwegt verrückte Dinge tut, von denen wir Normalsterblichen nur träumen, werden in dem eher unspektakulär anmutenden „Heute hat die Welt Geburtstag“ nicht nur RAMMSTEIN-Keyboarder Flake als Mensch, sondern auch RAMMSTEIN als Band nahbar. Mehr kann eine Autobiographie, die zugleich Bandbiographie darstellt, nicht erreichen.
Keine Wertung
„Dafür nehme ich jetzt aus den Hotelzimmern immer die Notizblöcke und die Kugelschreiber mit, denn da steht manchmal der Name der Stadt, in der wir gerade sind, drauf. Da habe ich dann später eine schöne Erinnerung an die Zeit mit der Band.“. Szenarien wie dieses kennt schließlich jeder aus dem eigenen Leben – sieht man freilich von der Sache mit der weltbekannten Rockband ab.
klar auf meinen reisen weiß ich auch selten in welcher stadt ich bin und nehm deswegenden hotel kugelschreiber mit… oder sammelt der flake etwa ernsthaft hotel kugelschreiber ? :D
aber vermutlich fehlt hier der gesammte kontext um das zu verstehen bzw nachvollziehen zu können, aber hey, kennt ja jeder.
Steht irgendwo, dass er das tut, weil er nicht weiß, in welcher Stadt er sich gerade befindet? Ich hab hier gerade neben mir einen Kugelschreiber vom Western Premier Hotel Muscat liegen, nette Erinnerung an eine tolle Stadt. Insofern kann ich für mich sagen: Ich kenne das. Und damit dürfte ich nicht alleine sein. ;) Es ging bei der Verwendung des Zitates jedoch weniger darum, ob sich jeder darin wiederfindet, als darum, die Bodenständigkeit des Herrn Flake an einem Beispiel festzumachen.