Review Fedrespor – Tid

Ob große Kunst wirklich ausschließlich aus großem Leid entsteht, ist gewiss zu hinterfragen – dass es aber oft tatsächlich so ist, wird wohl niemand abstreiten. Zu ebenjenen Künstlern, die in der kathartischen Wirkung der Musik ihr Seelenheil suchen, zählt auch der Norweger Varg Torden Saastad. Durch sein Experimental-Folk-Projekt FEDRESPOR, das ursprünglich 2013 als Black-Metal-Entität gegründet wurde, versucht der Einzelmusiker nämlich, den frühzeitigen Tod seines Bruders zu verarbeiten. Dieser Schmerz, den vermutlich nur gleichsam Betroffene vollends nachvollziehen können, strömt aus jeder einzelnen Note, die Saastad uns auf seinem Debüt „Tid“ hören lässt – wodurch er uns seinen Kummer vielleicht doch ein Stück weit begreiflicher macht.

Dass FEDRESPOR nicht etwa existiert, weil der dahinterstehende Künstler eines Tages aus Jux und Tollerei die Gitarre in die Hand nahm und zu ein paar einfachen Akkorden zu trällern anfing, wird bereits auf dem im wahrsten Sinne des Wortes sphärischen Opener „Ginnungagap“ unmissverständlich klar. In der nordischen Mythologie bezeichnet dieser Begriff den Urzustand der Leere, was durch die drei sich immerzu hypnotisch wiederholenden Keyboard-Töne sowie das sich sanft regende Piano und die Akustikgitarre unglaublich bildhaft zum Ausdruck kommt. Danach geht es weniger spacig, aber nicht minder mystisch weiter.

Zwar stehen ab „Det Vekkes“ eindeutig die Akustikgitarre und der Gesang im Vordergrund, jedoch lassen sich die Stücke dadurch keineswegs leichter ergründen – obgleich die Keyboards von da an wesentlich subtiler eingebunden werden. Die wehmütigen, verheißungsvollen Gesänge, die oft auch als wortlose, ausgezehrte Backing-Vocals ans Ohr dringen, die melancholisch gezupfte Akustikgitarre und die bedächtige Perkussion besitzen die für das Genre charakteristische, urtümliche Ausstrahlung. Dennoch erschöpft sich das musikalische Spektrum von FEDRESPOR keineswegs in herkömmlichen Folk-Kompositionen.

Völlig gleich ob der jeweilige Track in getragenem Tempo blanke Trostlosigkeit ausdrückt („Gripedyr“), auf beschwingte Weise Nachdenklichkeit vermittelt („Evigdom“) oder trotz aller unerfüllbarer Sehnsucht sogar einen Funken Hoffnung zulässt („Unknown Self“, „Takk“) – die Kreativität, mit der Saastad uns seine Gefühlswelt offenlegt, ist faszinierend. Die Lieder mögen meist auf einem simplen Motiv basieren, FEDRESPOR versieht sie jedoch stets derart gekonnt mit stimmigen Details, dass selbst an sich minimalistische Nummern wie das von einem einfachen Beat getragene „Langt Skal De Vandre“ niemals trivial erscheinen.

All die kleinen, für den Zauber der Platte aber unabdingbaren Stilmittel wie etwa die träumerischen Clean-Gitarren auf „Evighetens Vidder“ zu beschreiben und zu deuten, wäre eine Herkulesaufgabe und würde dem wahrhaft magischen Gesamtbild immer noch nicht gerecht werden. Es muss daher reichen, zu konstatieren, dass FEDRESPOR mit „Tid“ ein ungeheuer gefühlvolles, einfallsreiches und zudem überaus nuanciert produziertes Album kreiert hat, dessen bedrückende, eindringliche Grundstimmung den Hörer in seinen tiefsten Tiefen zu erschüttern vermag. Ob man die Musik des Norweger deswegen schon als experimentell bezeichnen will, ist zwar Ansichtssache, außergewöhnlich ist sie allerdings ohne jeden Zweifel.

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Wertung: 9 / 10

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