Dem Gelegenheitshörer sind EXTREME vielleicht kein Begriff, aber manch eingefleischter Rock- und Metalfan kommt bei der Erwähnung der Truppe aus Boston ins Schwärmen. 1990 gelang der Formation mit ihrem zweiten Album „Pornograffitti“ ein bis heute legendäres Werk und Gitarrist Nuno Bettencourt zählt ähnlich wie Eddie Van Halen zu den Visionären seines Instruments. 1995 löste sich die Truppe nach dem wenig erfolgreichen Album „Waiting For The Punchline“ zunächst auf, nahm ihre Aktivitäten aber Anfang der 2000er anlässlich diverser Festivalauftritte wieder auf. 15 Jahre nach ihrem letzten Album „Saudades De Rock“ veröffentlichen die einstigen Funk-Metal-Pioniere mit „Six“ nun eine neue Platte.
Im Großen und Ganzen sind die stilbildenden Merkmale des EXTREME-Sounds auch auf „Six“ zu finden: „Rise“ und „#Rebel“ leiten die Platte mit infektiös groovenden Riffs ein, allerdings fällt hier bereits auf, dass die Band mit der Zeit geht. Mächtig fett produziert und tiefer gestimmt kommen diese Songs ziemlich modern aus den Boxen – erst im rockigen „Banshee“ fühlt man sich an das grandiose „Pornograffitti“ erinnert. Die beiden Aushängeschilder der Band sind nach wie vor Sänger Gary Cherone und Gitarist Nuno Bettencourt und sie haben nichts von ihrem Talent eingebüßt: Mr. Cherone klingt auf „Six“ nicht weniger als phänomenal und kaum ein Gitarrist hat einen derart definierten Anschlag wie Nuno Bettencourt, was dessen Soli ebenso charakteristisch wie beeindruckend macht.
Prinzipiell ist es auch positiv zu bewerten, dass EXTREME mit „Six“ nicht auf Nummer sicher gehen wollten, sondern viel Experimentierfreude zur Schau stellen – nur leider ist das Ergebnis nicht immer gelungen. Mit „Other Side Of The Rainbow“, „Small Town Beautiful“ und „Hurricane“ hat die Truppe gleich drei Balladen auf diesem Album untergebracht, die allesamt mit ihren Oasis-mäßigen Refrains derart banal ausfallen, dass man kaum glauben möchte, dass es sich dabei wirklich um EXTREME-Songs handelt. Es passt einfach nicht zu dieser Band, derart eindimensionale Popsongs zu schreiben und dann auch noch mehr als einen davon auf einem Album zu veröffentlichen.
Vollkommen unerwartet wird es dann mit Nummern wie „Thicker Than Blood“ und „X Out“ – während im ersteren die an sich starken Riffs mit düsteren Industrial-Klängen vermischt werden, wird „X Out“ sogar fast vollkommen von synthetischen Klängen getragen. Überhaupt scheinen die elektronischen Beats zuzunehmen, je weiter „Six“ fortschreitet. Ihren unrühmlichen Höhepunkt erreicht diese Entwicklung im langweilig-chartigen „Beautiful Girls“, in dem selbst das starke Gitarrensolo wie ein Platzhalter wirkt. EXTREME haben selbst in ihrer höchsten Hochphase keine Experimente gescheut, weshalb man darauf vorbereitet sein sollte, aber in dieser Form wirkt es vor allem befremdlich.
In seinen besten Momenten ist „Six“ ein wirklich starkes Album – Gitarrist Nuno Bettencourt gehört nach wie vor zu den besten seiner Zunft und dass Gary Cherone mit 62 Jahren immer noch schafft, sich gesanglich mit der Leadgitarre zu duellieren, ist schlichtweg beeindruckend. Allerdings fehlt selbst den stärksten Songs auf diesem Album die angriffslustige Verspieltheit einer Platte wie „Pornograffitti“. Somit lassen selbst die Highlights des Albums eine gewisse Dringlichkeit vermissen und die experimentelleren Nummern können nur selten begeistern. Es ist wirklich schön, dass es EXTREME immer noch gibt, aber „Six“ ist gewiss kein später Karrierehöhepunkt. Schade.
Wertung: 5.5 / 10