Review Evergrey – Theories Of Emptiness

So geschickt kann man natürlich auch seine Hörer täuschen: Da betiteln EVERGREY ihr 14. (!) Studioalbum in über 30 Jahren nach der allumfassenden Leere – und packen es dann randvoll mit Musik. Über die dann folgende Täuschung sind die Fans hingegen bestens informiert: Die vertonten Thematiken und Geschichten sind tieftraurig, hoffnungslos und dunkel – und wunderprächtigst instrumentiert, so dass auch jeder, wirklich jeder mitsingen kann. Ist das jetzt Kalkül oder Kunst? Prog oder Melodic Metal? Irgendwo stimmt beides. Und das macht Licht wie Schatten des neuen EVERGREY Albums „Theories of Emptiness“ aus.

Dass die Band ihren ureigenen Stil gefunden hat und diesen nun perfektioniert, ist kaum von der Hand zu weisen. Denn die rein technische Fehlerlosigkeit des Outputs ist atemberaubend. Sei es die Präzision der Gitarren, das Schlagzeug, das uns auch durch krummste Beats sicher navigiert oder darauf thronend Tom Englunds famos beherrschter Gesang, bei allem muss man mit der Lupe nach Unstimmigkeiten suchen. Dazu weiß die Band ganz genau, wie sie einen Song zwischen den erwähnten Säulen Prog und (Dark) Melodic Metal zu komponieren hat. Alles wirkt auf den ersten Blick zugänglich und einladend, ist aber alles andere als simpel. Da enden Akkordfolgen ganz anders, als man sie intuitiv erwartet, da führen die djent-artigen Stakkatoriffs in musiktheoretische Untiefen, über denen aber dennoch ein fröhlicher 4/4tel-Takt thront. Und alles mündet stehts in einen euphorischen Refrain, unterlegt mit dicken Chören, der problemlos Orientierung bietet.

Das funktioniert beim Opener „Falling From The Sun“, das funktioniert bei der stampfenden Marsch-Hymne „One Heart“ und auch bei der abschließenden Power-Ballade „Our Way Through Silence“, auf die noch ein atmosphärisches Spoken-Wort-Outro folgt. Und langsam sollte es dem Leser dämmern, dass etwas nicht ganz stimmen kann bei diesem makellosen Sorglos-Paket. Und so beginnen die Fragen. Beispielsweise: Muss denn eigentlich jeder, wirklich jeder Song in einem Refrain münden, der so absolut auf Breitwand und Stadion-Kompatibilität gedrechselt wurde, dass einem U2-Sänger Bono in einer Rauchwolke erscheint? Ist es wirklich spannend, dass sich die Progressivität des Materials vor allem aus rhythmischen Besonderheiten ergiebt und nicht aus melodischen? Sollten Progsongs nicht irgendwie länger dauern als fünf Minuten? Warum könnte das Keyboard eigentlich auch meinen Bürokollegen gefallen? Und warum ist Perfektion eigentlich so oft mit Langeweile verbunden?

Um letzteres aufzugreifen: Langweilig ist „A Theorie Of Emptiness“ an keiner Stelle. Aber eben auch kalkuliert überlebensgroß. Sphärische Instrumentalpassagen wie bei „To Become Someone Else“ finden sich viel zu selten, ebenso wie längere Duelle zischen Instrumenten, Melodien und Ideen. Alles dienst meist vor allem dazu, Englunds Stimme den Weg in den Refrain zu weisen, wo schon die Chöre warten. Ach, die Chöre: Sie schreien uns „One Heart! One Soul!“ entgegen, fordern ungeniert zum Mitsingen auf und kommen auch nicht umhin, auf die so simple wie wunderschöne Trauerbewältigung „Ghost Of My Hero“ (die streng genommen nur aus einer einzigen minimal variierten Melodielinie besteht) noch ein „Haaaaa-Aaaaah! Haaaa-Aaaaah!“ draufzusetzen. Und man ertappt sich plötzlich beim Hören von „Misfortune“ mit seinen „Oh-ohoho-ohoho!“-Singalons dabei zu denken: „Ja, das funktioniert ganz prima. Aber das tut es bei Eurodance auch.“ Vielleicht ist es gerade das Übermaß an Perfektionismus, das so sehr nach Kalkül riecht.

Das ist alles Nörgeln auf sehr hohem Niveau. „Theories Of Emptiness“ ist objektiv betrachtet ein fehlerloses, schnell mitreißendes Album, dass mit dem grunzenden Jonas Renske (Katatonia) und der (nicht grunzenden) Englund-Tochter Salina auch noch spannenden Gäste enthält. Und mit „Say“ und „We Are The North“ sind auch weitaus progiggere Ausflüge dabei – aber auch bei diesen kommt irgendwann Marc Foster vorbei: „Und die Chöre sing‘ für dich: Ohhhh oh hohooohoohoho!“

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Wertung: 6.5 / 10

Redaktion Metal1.info

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