Review Evergrey – Monday Morning Apocalypse

Richtungswechsel innerhalb einer Band, wer kennt und liebt sie nicht? Für manche alteingesessenen Fans mag der Einschlag einer neuen Route im Klangbild einer etablierten Gruppe den Todesstoß für diese bedeuten. Aber was will man machen, wenn eine bekannte und beliebte Band sich entscheidet, doch mal was anderes zu probieren? Fragen über Fragen, die ich aber gerne noch mal ein wenig zurückstellen möchte, denn…

Irgendwann vor ein paar Jahren habe ich mal eine sehr interessante These gelesen, die da lautete „EVERGREY klingen so, als ob Dream Theater und Sentenced ein Kind gezeugt hätten“. Technisch versiertes Gitarrenspiel und bombastische Keyboardarrangements treffen auf eine wahrlich deprimierte, finstere Stimmung, von der die meisten Songs seit dem Debut „The Dark Discovery“ getragen wurden. Irgendwo zwischen Progressive-, Power und Gothic Metal gingen die Jungs aus Götheborg schon immer ihren eigenen Weg.

Bis dann plötzlich 2006 das sechste Album mit dem Titel „Monday Morning Apocalypse“ um die Ecke kam. Ein Jahr nach dem extrem bombastischen (teilweise leider etwas überladenen) „The Inner Circle“ zeigten Bandkopf Tom S. Englund und seine Mitstreiter sich plötzlich von einer ganz anderen Seite. Schon das Cover deutete es an. Völlig EVERGREY-untypisch haben wir es nicht mit irgendwelchen düsteren, geisterhaften, vermystifizierten Motiven zu tun, sondern mit Fahndungsfotos der Musiker. Was wollen sie wohl damit ausdrücken? Dass sie für den Richtungswechsel, den sie auf dem Album vollzogen haben, eingesperrt gehören?

Die-Hard-Fans der alten Alben mögen das vehement bejahen. Denn tatsächlich klingt „Monday Morning Apocalypse“ von der Grundausrichtung her ziemlich anders als die Vorgänger „Recreation Day“ und „The Inner Circle“ und vor allem ganz anders als die ersten Gehversuche der Band vor Jahren. Die Vocals von Englund sind zwar noch eindringlicher, gefühlvoller, schlicht und ergreifend besser als jemals zuvor in der Geschichte der Band, aber vor allem musikalisch haben die Jungs auf den ersten Blick einen Schritt zurück gemacht. Schon der Opener und Titeltrack in einem ist für EVERGREY-Verhältnisse sehr leichte Kost. Rhythmusfraktion, Gitarrenarbeit, Keyboardeinsatz, alles hier hält sich vornehm zurück. Das soll der gleiche Axtschwinger sein, der das Introriff von „The Great Deceiver“ zockte? Der gleiche Keyboarder, der „Unforgivable Sin“ veredelte? Unglaublich aber wahr, Englund klimpert relativ entspannt auf seinem Sechssaiter herum und die Keyboardeinwürfe von Zander kann man bestenfalls zaghaft nennen. Auch die Atmosphäre des Songs ist… sagen wir mal „gewöhnungsbedürftig“, zumindest für EVERGREY-Verhältnisse. Es wird zwar sicher niemand auf die Idee kommen, den Song als einen gut aufgelegten zu bezeichnen, aber trotzdem erlebte man die Schweden nur selten so undeprimiert.

Und den eingeschlagenen Weg verfolgt „Monday Morning Apocalypse“ auch konsequent weiter. Ich muss ehrlich zugeben, die ersten paar Durchläufe war ich ziemlich enttäuscht von dieser „Easy-Listening-Variante“ einer Band, die ich mit ihren vorigen Alben kennen und lieben gelernt hatte. Die Atmosphäre gefiel mir nicht, die coolen Solo-Einlagen fehlten mir, genau wie der Bombast. Lediglich das düstere „I Should“ und vielleicht ansatzweise „Obedience“ schlugen noch in dieselbe Kerbe wie die alten Hits der Götheborger und entwickelten sich schnell zu meinen Favoriten der Scheibe und eigentlich zu den einzigen Tracks, die ich regelmäßig hörte. Aber mit so einer Einstellung tut man dem Rest des Albums mächtig unrecht.

Denn obwohl man aufgrund der Eingängigkeit des Albums und seines relativ simplen Stils schnell den Eindruck gewonnen hat, dass „Monday Morning Apocalypse“ eine ziemlich durchschnittliche Dark Power Metal Platte ist (mit einem absolut überdurchschnittlich guten Sänger, versteht sich) und man sich ziemlich sicher ist, dass man hier auf nichts mehr stößt, was einen überraschen könnte, täuscht dieser erste Eindruck. Denn nach ein paar Durchläufen lässt die Scheibe endlich ihre Muskeln spielen. Da beginnt man endlich das ständige Aufblitzen von Passagen von wirklich bewundernswerter Kompetenz in den Kompositionen zu bemerken. Der geniale Refrain von „In Remembrance“ zum Beispiel. Oder die sparsame, aber effektive Instrumentalisierung der zweiten Strophe von „Lost“. Das absolut grandiose Ende von „The Dark I Will Walk You Through“ oder der komplette fantastische Rausschmeißer „Closure“. Das faszinierende an der CD ist, dass je mehr Zeit man hinein investiert, in dieses Album, das man schon nach dem zweiten Hördurchlauf ergründet zu haben glaubt, desto mehr bekommt man heraus, desto mehr absolute Ohrwürmer offenbart „Monday Morning Apocalypse“. Und desto mehr stachelt die Scheibe den Hörer zu noch einer Runde im Player an. So hat sich das Album nach den leichten Anlaufschwierigkeiten zu einem absoluten Dauerbrenner in meiner Stereoanlage entwickelt. Und ich wage zu behaupten: „Monday Morning Apocalypse“ ist nicht das repräsentativste Album, was EVERGREYs Schaffen betrifft. Aber es ist das wohl mutigste. Und auf seine eigene Art und Weise für mich ihr bestes.

Wertung: 9 / 10

Geschrieben am 6. April 2013 von Metal1.info

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