Müssen Doom Metal Bands alt sein? Es scheint so. Kann man überhaupt noch neue Doom Metal-Bands gründen? Man müsste den Versuch einmal wagen – Nachdem die 18jährigen Mournful Congregation jüngst ihren neuesten Streich „The Book Of Kings“ veröffentlichten, ziehen nun die 19jährigen ESOTERIC mit „Paragon Of Dissonance“ nach. Von Anfang an im eher gemächlichen Sektor beheimatet, zeichnet die Truppe ihr Wille zum Experiment und eine gewisse Affinität zur Drone-Szene aus. Oder, sagen wir, damit wird sie zumindest beworben.
Wie so oft führen solche Sprüche häufig auf den falschen Weg auf der Suche nach dem Sound, den man sich von ESOTERIC tatsächlich zu erwarten hat. Denn die Briten gehen weder sonderlich noisig vor, noch muss man ein großer Genre-Akrobat sein, um mit „Paragon Of Dissonance“ fertig zu werden. Der Anspruch dieser Band scheint ein anderer zu sein: Death Doom Metal interessant zu gestalten. Keine leichte Aufgabe, punktet dieses Genre im Normalfall doch eher durch konsistente, niederschmetternde Atmosphäre, als durch in irgendeiner Form spannende Songs. Und dann dauert „Paragon Of Dissonance“ auch noch massive 97 Minuten.
ESOTERIC fegen jegliche Vorbehalte aber ziemlich schnell vom Tisch. Das Album steigt zwar noch mit relativ klassischem Atomkrater-Riffing ein, macht dann aber relativ schnell klar, dass geltende Konventionen bezüglich Monotonie und atmosphärischer Einseitigkeit bei ESOTERIC eher geringe Bedeutung haben. Stattdessen bekommt man Songs präsentiert, die in durchschnittlich 14-15 Minuten für diesen Sektor ungewöhnlichen Ideenreichtum präsentieren: Ambitioniertes, unorthodoxes Drumming, stimmungsvolle Soundscapes oder Klavierklänge, die die typischen Knochenbrecher-Riffs unterstützen, sind nur einige Elemente, die immer wieder in den Sound eingeflochten werden, um Abwechslung zu schaffen – dankenswerterweise ohne dabei gezwungen oder kalkuliert zu klingen. Auch gesanglich bleibt man nicht bei Tiefsee-Growls, sondern wechselt gerne auch mal zu ziemlich extremen, hysterischen Screams, die bei entsprechend finsterer Stimmung eine willkommene Alternative darstellen. Zwischen kreischenden, elegischen Melodien, sphärischen, elektronisch verfälschten Gitarrenklängen, schnarrenden Bassgrooves und unvorhersehbaren Frickel-Ausbrüchen, die so schnell wieder verschwinden, wie sie gekommen sind, merkt man überhaupt erst mal, wie irrelevant selbst die meisten gut gemachten Doom Metal-Alben eigentlich sind. Die Dramaturgie, die ESOTERIC hier umsetzen, ist schlichtweg beeindruckend, zumal die Band es dennoch schafft, die Atmosphäre konstant abgrundtief finster wirken zu lassen. Und selbst, wenn man nur die klassischsten Elemente auf „Paragon Of Dissonance“ betrachtet, sticht die Truppe die Genre-Kollegen durch ihre Akkuratesse und Präzision noch mit Leichtigkeit aus. Dass man zusätzlich aber eine große Fülle an Stilmitteln, Tempi und atmosphärischen Facetten (habt ihr schonmal hektischen Doom gehört?) in den Sound einbringt, ohne, dass diese zwangsläufig charakteristisch für das Album wären oder sich andauernd wiederholten, ist das eigentlich Faszinierende hier. Dann kommen hier halt mal dominante Klavierklänge um die Ecke, wenn es gerade angesagt ist, es bedeutet noch lange nicht, dass sie auf der Scheibe nicht einmalig sind, wenn sie im Folgenden nicht noch einmal wie die Faust aufs Auge passen.
Auf diesem Album gibt es tatsächlich mal etwas zu entdecken, es wächst mit jedem Hördurchgang, ohne dabei an Spannung zu verlieren. Wer Doom Metal zuvor als langweilig empfand, sollte dem Sektor mit der neuen ESOTERIC-Scheibe unbedingt nochmal eine Chance geben, hier geht selbst die erwähnte monumentale Spielzeit von 97 Minuten gut herunter. Ein Album, mit dem man ohne weiteres mehr als nur einmal über anderthalb Stunden seines Tages verbringen will, kann so viel wohl nicht falsch machen.
Wertung: 9.5 / 10