Das Live-Album galt lange als totgesagt. Bis auf wenige Ausnahmen schienen es in Zeiten von YouTube die meisten Bands für vergebliche Liebesmüh zu halten, in die aufwendige Aufbereitung ihrer Auftritte zu investieren, wenn das alles oft noch am selben Abend über diverse Streamingplattformen abrufbar war. Wie so viele Dinge wird auch das von der Pandemie verändert: Weil Bands nicht alle paar Monate ein neues Album schreiben können und das Wegbrechen der Live-Aktivitäten massive Verdiensteinbußen zur Folge hat, müssen neue Einnahmequellen generiert werden. So gelingt dem professionelle Live-Mitschnitt nun sein Comeback – nicht nur als Dokument schweißnasser Konzerte aus Prä-Corona-Zeiten, sondern auch noch als quasi Mogelpackung in Form öder Proberaum-Performances. Die Schweden ENFORCER hatten das Glück, noch kurz vor dem Stillstand ihr aktuelles Album „Zenith“ zu betouren und hielten dabei ihre Show in Mexiko City für die Nachwelt fest. Diese Aufnahme erscheint nun unter dem Titel „Live By Fire II“.
Man muss ENFORCER zugute halten, dass sie als eine der wenigen jüngeren Bands auch vor dem Shutdown schon Interesse am Format Live-Album gehabt haben – der Vorgänger zu „Live By Fire II“ erschien immerhin schon 2015. Überhaupt ist diese Platte nicht nur ein weiteres Zeugnis der stetig wachsenden Live-Qualitäten dieser Band, sondern auch eine Liebeserklärung an den Konzertmitschnitt an sich: Schon das Cover erinnert charmant an Platten wie „Unleashed In The East“ von Judas Priest und damit an Zeiten, als der Heavy Metal im Stadion zuhause war. Auch die Tracklist offenbart mit Titeln wie „Guitar Solo / City Lights Jam“ sowie dem – früher – unverzichtbaren „Drum Solo“, dass man es hier mit einer Band zu tun hat, die nicht bloß ihre Songs runterspielen will, sondern ein Konzert noch als tatsächliche „Show“ versteht.
Die Track- beziehungsweise Setlist, eines der wichtigsten Kriterien jedes Live-Albums, kann dabei auf ganzer Linie überzeugen. Anders als beim Vorgänger stimmte das Timing für „Live By Fire II“ vollkommen, denn ENFORCER haben hier auf der Tour zu ihrem aktuellsten Album „Zenith“ mitgeschnitten. An dem scheiden sich erwiesenermaßen die Geister, was auch der Band selbst nicht verborgen geblieben ist und so finden sich in ihrem Live-Set mit dem rockigen „Die For The Devil“, „Searching For You“ oder „Zenith Of The Black Sun“ auch die eher weniger experimentellen Nummern jener Platte. Die fügen sich im Bühnenbetrieb auch relativ nahtlos an Dauerbrenner wie „Scream Of The Savage“ oder „Katana“ sowie die besten Nummern ihrer beiden stärksten Alben „Death By Fire“ und „From Beyond“. Kurz: ENFORCER tragen auch ihrer neuesten Platte Rechnung und geben langjährigen Fans doch alles, was sie hören wollen.
Dass ENFORCER eine umwerfende Live-Band sind, ist bereits bekannt und da ist es kaum erwähnenswert, dass die Truppe aus Stockholm auch auf „Live By Fire II“ eine hervorragende Figur macht. Das Quartett zockt seine Songs mit beängstigender Präzision und schafft es, auch ausgedehntere Nummern wie „One Thousand Years Of Darkness“ kurzweilig zu gestalten. Leichte Abstriche sind bei der Atmosphäre zu machen: Positiv ist, dass ENFORCER das Gitarrensolo nicht als minutenlange Frickelorgie gestalten, sondern dank gekonnter Arrangements mit Keyboard und dem Rest der Band eine Michael-Schenker-mäßige Instrumentalsession daraus machen. Auch das gut hörbare Publikum sorgt ab dem Intro zu „Die For The Devil“ für authentische Live-Atmosphäre im heimischen Wohnzimmer, allerdings verschwindet jeglicher Raum-Anteil, sobald die Band zu spielen beginnt. Hier klingen ENFORCER so fett und direkt wie im Studio – wenngleich ein bisschen roher – und die zweifelsohne zahlreich versammelten Fans sind nur noch zu vernehmen, wenn sie zwischen den Songs oder bei entsprechenden Mitmach-Parts hinzugemischt werden. Das ist schade, denn hier klingt „Live By Fire II“ nicht so live, wie das Cover vermuten lässt.
„Live By Fire II“ ist auf jeden Fall ein authentisches Live-Album. ENFORCER haben hier einen energiegeladenen Auftritt vor enthusiastischem Publikum festgehalten und waren sich auch nicht zu schade, die Momente, die einen bloßen Auftritt zu einer tatsächlichen Show machen, ebenfalls auf Platte zu bannen. Gerade unter diesem Gesichtspunkt ist es eine kleine Enttäuschung, dass „Live By Fire“ die meiste Zeit gar nicht wirklich nach Konzertmitschnitt, sondern nur nach etwas roherer Studio-Performance klingt. Das ist kein Argument gegen den Erwerb der Platte, denn wie gesagt haben ENFORCER vor allem das Drumherum einer solchen Performance authentisch eingefangen. Es wäre nur einfach schöner gewesen, wenn hier nicht nur die Spuren aus dem Mischpult, sondern auch der Raum etwas mehr zu hören gewesen wären. Empfehlenswert ist „Live By Fire II“ dennoch – alleine schon, weil es viel zu wenige junge, hungrige Bands wie ENFORCER gibt, die sich trauen, Live-Alben zu veröffentlichen.
Wertung: 7.5 / 10